Inselkunde : Das etwas andere Sylt-ABC ...
Von abendlichen Besuchen bei Nachbarn über geschmückte Holzgestelle und sandige Quallen bis hin zu dunklen Erinnerungen.
Treue Inselurlauber wissen, dass auf Sylt so manches etwas anders ist als sonstwo in Deutschland – das macht schließlich den besonderen Reiz dieses einzigartigen Eilands im Norden aus. Damit sich aber auch Insel-Neulinge schnell zurechtfinden, sorgt unser Autor Frank Deppe mit einem speziellen Sylt-Alphabet für Aufklärung.
A wie Aufsitzen
Hat nichts damit zu tun, dass Sie einem gewaltigen Irrtum aufsitzen, wenn Sie Ihre Ferien statt auf Sylt etwa auf Rügen oder Mallorca verbringen. Als „Aufsitzen“ bezeichnete man auf Sylt früher vielmehr abendliche Besuche bei den Nachbarn, ohne diese anzukündigen.
B wie Blanker Hans
Bezeichnet nicht etwa einen braven Kerl, der im Sylt-Urlaub seinen letzten Cent ausgegeben hat, sondern vielmehr die Launen der Natur: Wenn eine Sturmflut an die Küste brandet, nennen die Friesen das aufgewühlte Meer den „Blanken Hans“.
C wie Canditel
Hierbei handelt es sich weder um eine Bonbonspezialität noch um eine seltene Vogelart. Auf jeden Fall macht ein Sylt-Urlaub „canditel“, denn dieser plattdeutsche Begriff steht für „fröhlich, lustig“.
D wie Döntje
Habe ich Ihnen schon das Döntje erzählt, das Dörthe und Dora am Kampener FKK-Strand erlebt haben? Auch dieser auf Sylt gängige Begriff stammt aus dem Plattdeutschen und betitelt eine Anekdote.
E wie Emma
Der häufigste Frauen- name auf Sylt – denn so heißen alle Möwen. Dass wusste auch Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, streitbare Herausgeberin der Zeitschrift „Emma“. Bei einem Sylt-Urlaub schrieb sie in das Gästebuch ihres Hotels: „Da die Möwen hier bekanntlich alle ‚Emma‘ heißen, hab’ ich mich ganz zuhause gefühlt.“

F wie Friesennerz
Spöttische Bezeich- nung für die vor einigen Jahren noch sehr verbreiteten leuchtendgelben Regenjacken. Besonders allergisch reagierte der inzwischen verstorbene Fernsehmoderator Werner Höfer auf diese Modeerscheinung: „Eine solche Landplage hat die Insel wirklich nicht verdient.“
G wie Galgen
Wenn im Sommer im Sylter Osten so genannte Galgen errichtet werden, schlägt dort nicht etwa Verbrechern das letzte Stündlein. Das einzige, was am „Galgen“ baumelt, ist ein winziger Messingring. Diesen aus dem Galopp mit einer Lanze aufzuspießen, ist die Aufgabe der Sylter Ringreiter.
H wie Heuler
Nein, damit ist nicht das plärrende Kleinkind am Nebentisch gemeint, das Ihnen den Restaurantbesuch gründlich versalzt. Heuler werden verwaiste Seehundbabys genannt, die während eines Sturms von ihrer Mutter getrennt wurden.
I wie Inselkoller
Bezeichnung für eine depressive Stimmung, die zeitweilig Menschen befällt, die auf Sylt neu zugezogen sind und im Winter plötzlich eine drangvolle Enge verspüren. Als Therapie empfiehlt sich ein Kurzurlaub auf dem Festland.
J wie Jöölboom
Auf Sylt ist bekanntlich alles anders – das trifft auch für den Weihnachtsbaum (friesisch: Jöölboom) zu: Angesichts des geringen Baumbestandes auf der Insel behalfen sich die Menschen in früheren Jahrhunderten mit einer Notlösung: Sie besteckten einen Besenstiel mit figürlichen Gebilden und stabilen Zweigen, die man mit Früchten und Zuckerwerk verzierte. Der Jöölboom ist heute wieder in Mode gekommen und wird gern bei den Sylter Weihnachtsmärkten gekauft.
K wie Klöntür
Zweigeteilte Tür, deren obere Hälfte sich separat öffnen lässt. Diese Türen, die man heute noch auf Sylt bei alten Friesenhäusern findet, verhinderten früher, dass die Tiere aus dem Wirtschaftstrakt entlaufen konnten. Der Name Klöntür rührt aus dem Nebeneffekt, dass sich die Hausbewohner gern zu einem zwanglosen Plausch („Klönschnack“) durch das geöffnete Oberteil der Tür hinauslehnten.
L wie „Lütt un Lütt“
Na, dann Prost: Plattdeutsch („Klein und klein“) wird eine hochprozentige Bestellung im Lokal umschrieben, nämlich ein kleines Bier und ein kleiner Korn.
M wie Maskenlaufen
Sollten am letzten Abend des Jahres plötzlich einige vermummte Gestalten vor Ihrer Haustür stehen, brauchen Sie nicht gleich das Schlimmste befürchten. Die unerwarteten Gäste wollen nicht Ihr Hab und Gut, sondern lediglich etwas vortragen: Maskenlaufen ist in den Sylter Ostdörfern eine lebendige Tradition. Am Silvesterabend gehen kleine Gruppen maskiert von Haus zu Haus, um launige Verse vorzutragen, die sich vornehmlich mit den Geschehnissen im Dorf befassen. Dafür werden die kleinen Läufer mit Süßigkeiten, die älteren mit einem Glas Schnaps belohnt.
N wie Neufundland
Viele Autokennzeichen werden mit neuen Bedeutungen verunglimpft – angefangen von „Armes Bayern“ für „AB“ (alias Aschaffenburg) bis hin zu „Zum Erbarmen“ für „ZE“ (alias Zerbst). Auch der Kreis Nordfriesland, zu dem Sylt gehört, bekommt sein Fett weg: Angesichts der exponierten Randlage variieren Spaßvögel „NF“ gern in „Neufundland“.
O wie Ostwind
Wird oft mit dem Fön in Bayern verglichen. Bei Ostwind sind manche Menschen auf der Insel gereizt und leiden unter Kopfschmerzen. Zudem birgt Ostwind im Sommer einen weiteren unangenehmen Effekt: Er bringt die Quallen vom offenen Meer in Strandnähe.
P wie Plietsch
Plattdeutscher Termi- nus für ein cleveres Bürschchen (respektive eine pfiffige Frau).
Qwie Qualle auf Sand
Kein unappetitliches Strandgut, sondern ein leckerer Nusskuchen mit Kirschkompott und Sahne.
R wie Rasende Emma
1888 begann auf Sylt die Ära der Inselbahn, die erst 1970 ihr Ende nahm. In Anspielung auf die Geschwindigkeit der Bummelzüge verbreiteten sich im Laufe der Jahre humorige Redensarten wie „Blumenpflücken während der Fahrt verboten“, wurden die Züge mit liebevoll-despektierlichen Kosenamen wie „Rasende Emma“ oder „Käseschieber“ belegt.

S wie Schweinebucht
Schwein gehabt: Das sa- gen sich Angler, wenn sie in der so genannten Schweinebucht am Lister Ellenbogen einen guten Fangtag haben und viele Makrelen an die Haken bekommen.
T wie Trecker
Damit sind auf Sylt nicht nur landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge gemeint: „Trecker“ benennt eine tückische Strömung zwischen Buhnen und vom Wasser überspülten Sandbänken. Wer beim Baden in einen Trecker gerät, muss aus diesem unbedingt seitlich herausschwimmen.
U wie Ütfan
Für die alten Sylter war mit diesem friesischen Begriff eine lange Reise verbunden: „Zur See fahren“ bedeutete in der Epoche des Walfangs und der Handelsschifffahrt eine monate-, manchmal sogar jahrelange Abwesenheit von Heimat und Familie.
V wie Verjagen
Heißt nicht, dass Sie jemanden aus dem von Ihnen gemieteten Strandkorb verscheuchen. Dieser plattdeutsche Ausdruck wird vielmehr gebraucht, wenn man sich erschrickt.
W wie Whisky- straße
Hier knallen die Korken: „Whiskystraße“ ist die scherzhafte Bezeichnung für den Kampener Strönwai, der von zahlreichen noblen Bars und Clubs gesäumt wird.
X wie X-mal
Nach Sylt kommt man bekanntlich einmal und nie wieder oder einmal und immer wieder. Wobei die meisten Gäste die zweite Variante vorziehen und fortan x-mal („Schatz, wann waren wir eigentlich das erste Mal hier?“) wiederkehren.
Y wie sYlt
Der zweite Buchstabe im Inselnamen könnte auch für Sylt-Liebe auf den zweiten Blick stehen. Dann aber hat es so richtig gefunkt und der Insel-Liebhaber kommt noch → x-mal.
Z wie Zappenduster
Auf Sylt sind die Tage im Sommer lang und die Nächte kurz. Doch irgendwann ist auch in der schönsten Kneipe Feierabend. Längst „Zappenduster“ – das plattdeutsche Wort für „Stockdunkel“ – ist es dann draußen, und dunkel sind auch die Erinnerungen am nächsten Morgen: Warum ist mein Portemonnaie so leer und mein Kopf so schwer? Tipp: Ein ausgiebiger Strandspaziergang weckt die Lebensgeister!

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