Sylts Bürgermeister wollen die Insel zur Modellregion für autonomes Fahren im ländlichen Raum machen.
Ein kleiner Bus ohne Fahrer, der wie von Zauberhand gelenkt um die Ecke kommt, Passagiere aufnimmt und sie ein paar Kilometer weiter absetzt, nahezu lautlos, ohne lautes Motorbrummen und ohne eine Qualmwolke zu hinterlassen. Heute noch eine Vision, doch vielleicht schon in einigen Jahren Realität. „Sylt ist prädestiniert für autonomes elektrisches Fahren“, sagt Dr.-Ing. Harald Eifert. Die Insel-Bürgermeister hat er schon überzeugt – sie wollen Sylt zur Modellregion für solche Projekte machen.
Eifert leitet das Hamburger Büro der EurA Consult, ein Beratungsunternehmen, das sich auf innovative Projekte spezialisiert hat. In einem Workshop war die Überlegung entstanden, dass es für die Mobilität 4.0 drei Testszenarien geben muss – eines auf der Autobahn (dafür wurde schon die A9 zwischen München und Nürnberg auserkoren), eines im städtischen Ballungsraum (voraussichtlich in Nordrhein-Westfalen) und eines auf dem Lande. Hier sieht Eifert einen ganz besonderen Bedarf an selbstfahrenden Systemen, weil der öffentliche Personennahverkehr nicht so gut ausgebaut ist wie in der Stadt. Mit autonomen Bussen, so sein Kalkül, könnten auch ältere Menschen auf dem Land mobil bleiben.
Auf Sylt kommt für Eifert noch der touristische Bedarf hinzu – eine umweltfreundliche Fortbewegung für Gäste ohne Auto, die mit der Bahn oder dem Flugzeug anreisen und morgens am Frühstückstisch spontan entscheiden, ob sie an den Strand oder ins Museum möchten. Eine App auf dem Smartphone macht’s möglich – und nach wenigen Minuten steht der Elektrobus vor der Haustür und holt die Fahrgäste ab. Dass das Vehikel umweltfreundlich mit nordfriesischem Windstrom unterwegs ist, verleiht der Sache zusätzlichen Charme.
Im Ausland gibt es schon eine Reihe von Modellprojekten mit autonomen Elektrobussen, etwa in der Schweizer Stadt Sitten. Dort pendelt ein Elektrobus mit maximal Tempo 20 zwischen dem Zentrum und dem Bahnhof, wobei der Testbetrieb noch von einem Sicherheitsfahrer begleitet wird. Einen ähnlichen Versuch plant die dänische Stadt Aalborg für 2018.
Der Sylter Landschaftszweckverband, in dem alle fünf Gemeinden der Insel vertreten sind, bekundete einstimmig sein Interesse, sich als „Modellregion für autonomes elektrisches Fahren in ländlicher touristischer Region“ zu präsentieren. Schon das Klimaschutzkonzept der Insel verlange nach einer zukunftsweisenden, klimaverträglichen und verkehrsberuhigenden Elektromobilität. Für eine Modellregion Sylt spreche auch die heute schon hohe Dichte an Ladestationen (28) und Elektrofahrzeugen – auf 410 Einwohner kommt ein Stromer. Nun wollen die Sylter ihre Fühler ausstrecken, das Gespräch mit Hochschulen, Unternehmen und Ministerien suchen und Förderchancen ausloten.
Sogar Busunternehmer Sven Paulsen, Chef der Sylter Verkehrsgesellschaft SVG, sieht autonomes Fahren als „spannende Chance“ für sein Unternehmen und „unseren Mikrokosmos Sylt“.
Nur ein Bürgermeister der Insel konnte der Begeisterung für die Mobilität 4.0 nichts abgewinnen, und zwar ausgerechnet der jüngste: Nikolas Häckel (42), Rathaus-Chef in Westerland, sorgte sich um eine „extreme Gefahr“, die von selbstfahrenden Fahrzeugen ausgehen könnte. Die Vorstellung, dass sich autonome Busse und andere Verkehrsteilnehmer auf schmalen Wegen in die Quere kommen könnten, bereitete ihm „große Magenschmerzen“. Häckel enthielt sich der Stimme.