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Matthäus Friedrich Chemnitz Liedschreiber mit bemerkenswerter Tenorstimme

Von Bernd Philipsen | 11.08.2011, 06:19 Uhr

Anwalt dichtete die Landeshymne 1844 in seinem Büro im Stadtweg

Wenn in der Serie der "Schleswiger Köpfe" Carl Gottlieb Bellmann, der Komponist des Schleswig-Holstein-Liedes, vorgestellt wird, darf natürlich Matthäus Friedrich Chemnitz nicht fehlen, der Texter der "Landeshymne". Sie erklang zum ersten Mal am 24. Juli 1844 vor Tausenden von begeisterten Besuchern aus allen Teilen Schleswig-Holsteins auf einem großen Sängerfest in Schleswig. Chemnitz und Bellmann, die Schöpfer des Schleswig-Holstein-Liedes, werden oft in einem Atemzuge genannt. Ihnen beiden ist das Denkmal gewidmet, das 1896 auf dem höchsten Punkt der Michaelisallee, dem so genannten Schneckenberg, errichtet wurde. Die vier Meter große Jünglingsgestalt mit Leier und Schwert in den Händen wurde nach dem Entwurf des aus Bad Schwartau stammenden Bildhauers Paul Peterich geschaffen. Ein bronzenes Doppelrelief im Denkmalssockel zeigt beide Männer im Profil.

Matthäus Friedrich Chemnitz wurde am 10. Juni 1815 im holsteinischen Barmstedt als fünftes von 14 Kindern eines evangelischen Predigers geboren. Sein Vater erteilte ihm den ersten Unterricht, schickte ihn aber später auf das Altonaer Gymnasium Christianeum. In jener Zeit versuchte sich Chemnitz erstmals als Poet. Die ersten Reime waren seinem erkrankten Vater zu dessen Geburtstag gewidmet. Als 20-Jähriger ging er nach Kiel, um an der Christian-Albrechts-Universität Jura zu studieren. 1840 legte er auf Schloss Gottorf sein juristisches Staatsexamen "mit rühmlicher Auszeichnung" ab. Daraufhin ließ er sich als Rechtsanwalt in der Schleistadt nieder. Zusätzlich übernahm er Aufgaben innerhalb der Staatsanwaltschaft.

Er - der Neubürger - nahm aktiv im gesellschaftlichen Leben in der Stadt teil. Chemnitz engagierte sich in der Turnerschaft und schloss sich dem Schleswiger Gesangverein von 1839 an. Dort wurde der passionierte Sänger allein schon wegen seiner bemerkenswerten Tenorstimme mit offenen Armen aufgenommen. Ferner traf Chemnitz hier auf einen Kreis politisch gleichgesinnter Männer, die - wie auch er - im Nationalitätenkonflikt mit Kopenhagen die deutsche Position vertraten.Angeregt durch den Erfolg des Sängerfestes in Tönning 1843, entschieden sich die Schleswiger Sänger, eine ähnliche Veranstaltung vorzubereiten. Sie sollte aber in einem bedeutend größeren Rahmen stattfinden und über die regionalen Grenzen hinaus als eine politische Demonstration wahrgenommen werden.Die Initiatoren wollten die Öffentlichkeit mit einem eigenen schleswig-holsteinischen Lied überraschen. Sie griffen auf einen Text zurück, der der Liedertafel von dem Berliner Justizrat und Gelegenheitsautor Karl Friedrich Heinrich Straß angeboten worden war. Bellmann, Gründer und Dirigent des Chores, vertonte den Liedtext von Straß und sandte die "Composition zu Ihrem schönen patriotischen Lieder" voller Zuversicht an den Verfasser nach Berlin. Doch in Schleswig selbst fanden die Verse keinen großen Anklang. Viele patriotisch eingestellte Sänger, aber auch einfache Bürger lehnten den Text "An Schleswig, Holstein" als zu wenig vaterländisch ab.

Nun schlug Chemnitz große Stunde: Nur wenige Tage vor dem großen Sängerfest dichtete der Jurist in seinem Büro im Stadtweg zu der bereits vorliegenden Melodie das zuerst "Wanke nicht, mein Vaterland" überschriebene Schleswig-Holstein-Lied, mit dem der Autor genau den richtigen Ton traf. So hatte er die Namen der beiden Landesteile nicht - wie Straß - durch ein Komma getrennt, sondern durch einen Bindestrich verbunden. Buchstäblich in letzter Minute übte Bellmann dieses neue Lied mit seinem Chor ein - die Festversammlung war begeistert, das Schleswig-Holstein-Lied geboren.

Der 1848 gebildeten Provisorischen Regierung für Schleswig-Holstein diente er als Beamter. Doch nach dem Scheitern der Erhebung gegen Dänemark musste er das Land verlassen. In Hamburg war er journalistisch tätig; in Würzburg, das er als Mitglied der schleswig-holsteinischen Delegationbeim ersten Deutschen Sängerfest 1845 kennen gelernt hatte, stand er in Diensten der Main-Dampfschifffahrtsgesellschaft und des Polytechnischen Vereins. Erst 1864 konnte er in seine Heimat zurückkehren. Er fand zunächst eine Anstellung als Amt- und Klostervogt in Uetersen. Ab 1867 war Chemnitz dann als Amtsrichter in Altona tätig, wo er - erst 55 Jahre alt - am 15. März 1870 mittellos starb. Zu einem eigenen Grab reichte es nicht: Ein begüterter Freund ließ ihn in seinem Erbbegräbnis beisetzen.