Regisseur Otwin Biernat dreht an der Flensburger Förde einen Experimentalfilm. Das Besondere: Das Familienpsychogramm wird fast ausschließlich in Echtzeit gedreht. Eine große Herausforderzung für die Schauspieler.
Kein Blick von außen also, wie üblich im Film. Durch die Perspektive wird der Zuschauer vielmehr Teil der Handlung. Eine Konstellation, die schon für sich den Schauspielern eine Menge abverlangt. Doch für Uta Krüger (Anna), Doris Pigneter (Didi), Knut Krödel (Karl Krämer), Bodil Strutz (Therapeutin Herrmann) und Maximilian Popp (Lukas) schuf der junge Regisseur, Produzent und Drehbuchautor eine weitere Herausforderung. Er legt sein Familien-Psychogramm als Echtzeit-Drama an, das heißt: Die Kamera wird während der ersten 70 Minuten des Films durchlaufen. Eine Kamera. Kein Schnitt. Keine Kunstgriffe. Dafür aber viel Raum für anspruchsvolle Darstellung und Improvisation. Biernat: „Da haben wir uns ein großes Ziel gesetzt!“
Wir – auch das ist Teil des Konzeptes. Seit gut einer Woche üben Schauspieler und Regisseur gemeinsam für die ungewöhnlichen Dreharbeiten, die gestern in Westerholz an der Flensburger Förde begonnen haben. Dabei entwickeln sich Geschichte und Charaktere fort. Und das ist ganz im Sinne des kreativen Kopfes, der sich auch aufgrund dieser künstlerischen Freiheit über eine hoch motivierte kleine Truppe freuen kann. „Wir sind als Team richtig zusammengewachsen“, sagt Schauspielerin Uta Krüger. „Für uns als Schauspieler ist das ein echter Luxus, mitreden zu können und das Stück mitzuentwickeln.“
Eigentlich sind die fünf Mimen auf der Schauspielbühne zu Hause. Sie kennen sich unter anderem aus dem Allee-Theater in Hamburg. Für den Wechsel von den Bühnenbrettern an der Max-Brauer-Allee vor die Filmkamera opfern sie ihre Freizeit, haben sich frei genommen – „aus Leidenschaft“. Für einen Film, der für sie alle gemeinsam ein tolles Experiment sei, betonen sie.
Der Kontakt zu der jungen Truppe entstand über Knut Krödel, der aus Glücksburg stammt, aber schon in jungen Jahren die Heimat verließ. Als Lehrer unterrichtete er einst acht Jahre lang den kleinen Otwin Biernat in Graz in Österreich. 20 Jahre später trafen sich beide in Hamburg wieder. Krödel war seiner Leidenschaft erlegen, hatte inzwischen vom Lehrerberuf ins Schauspielfach gewechselt. Nun sitzen sie gemeinsam am Küchentisch in dem schlichten Einfamilienhaus in Westerholz und proben.
Diese Location wurde nicht von einem Scout geliefert. Das Haus gehört der Familie von Bodil Strutz, die im Film als Therapeutin wertvolle Dienste für die Familie Krämer leistet, an der Flensburger Förde sonst – wie andere Familienmitglieder auch – manchen Urlaub verbringt.
Für die nächsten Tage ist allerdings an Freizeit nicht zu denken. Denn das Team hat viel Arbeit vor sich. Sieben Drehtage, an denen jeweils ein voller Durchlauf des Films entstehen soll – das heißt für jeden Schauspieler: sieben Mal 70 Minuten am Stück bringen. Mit dem dabei entstandenen Rohmaterial wird Biernat dann nach Dubai jetten, wo er dem Film bei einem befreundeten Produzenten den nötigen Feinschliff verpassen wird.
Bei seinem „Experiment“ denkt der junge Regisseur nicht an den kommerziellen Erfolg. „Im Auge des Betrachters“ soll zunächst auf Festivals laufen – im In-, aber vor allem auch im Ausland, wo experimentelle Filme besonders geschätzt werden – unter anderem in Japan. Biernat finanziert das Projekt aus eigener Tasche und über „Crowdfunding“. Das heißt: Er wirbt im Internet um Unterstützung. Zugleich sind die Kosten auf ein Minimum reduziert. Die Schauspieler verzichten auf Gagen, es gibt nur einen Drehort. Und weil er auch im technischen Bereich auf begeisterte Helfer aus der Region (unter anderem Rasta Film Flensburg) zählen kann, soll das Budget nicht über 6000 Euro (Spenden-Stand gestern: gut 4697 Euro) steigen.
Dass er finanziell nicht aus dem Vollen schöpfen kann, empfindet Biernat nicht als Hemmschuh. Im Gegenteil: Eine „No-Budget-Produktion“ – das heißt vor allem eines: Freiheit. „Ich verzichte ganz bewusst auf Filmförderung, weil wir so unseren künstlerischen Blick bewahren können, ganz ohne wirtschaftliche Zwänge.“
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