Der Streit geht um ein geplantes Mietshaus in der Langen Straße 36. Die Anwohner sind vom Bürgermeister enttäuscht.
Als die über 60-jährige Margit Smoydzin und ihr Ehemann vor zwei Jahren den Kaufvertrag für ihre Eigentumswohnung im zweiten Stockwerk am Kleinen Baumhofsgang unterschrieben, glaubten beide, dass ein angenehmer, sorgloser Lebensabschnitt in Schleswig vor ihnen liegt. „Wir richteten unsere Wohnung liebevoll ein und investierten munter drauf los“, sagt sie. Hübsch dekoriert, für gemütliche Stunden im Freien, wurde auch ihr Balkon, von dem aus man auf die Baulücke in der Langen Straße 36 schaut.
Dorthin, von wo aus nun viel Ärger herüberzieht. Ein Ärger, der den Smoydzins und ihren Nachbarn – den Ehepaaren Helga und Hans Meier, Leonard und Francoise Harper-Combaluzier sowie den Familien Mundt und Sievers – allmählich den Schlaf raubt.
Fünf von sechs Eigentümern, die in dem Gebäudekomplex mit den Balkonen zur Langen Straße 36 wohnen, erklären gegenüber den Schleswiger Nachrichten: „Wir fühlen uns getäuscht, betrogen und übervorteilt von der Frau, die uns vor zwei Jahren unsere Wohnungen hinter deren Grundstück in der Langen Straße 36 verkauft hat.“ Denn diese Fläche soll jetzt massiv bebaut werden: durch ein vierstöckiges kompaktes Gebäude. Das ist in dieser Form einzigartig innerhalb der historischen Häuserreihe der Langen Straße. Doch der Bauantrag wurde nun genehmigt – vom Bauamt und mit dem Segen des Bürgermeisters.
Das Pikante an dieser Geschichte: Der Ehemann der Projektbetreiberin und Wohnungsverkäuferin arbeitet als Bauaufsicht bei der Stadt Schleswig. Er füllt eine Vollzeitstelle im Bauamt aus. Dennoch vertritt er ziemlich unverhohlen seine Ehefrau bei gemeinsamen privaten Bauprojekten. „Nur er – und nicht sie – ist uns gegenüber in Erscheinung getreten, wie auch jetzt im aktuellen Streit um das ausufernde Neubauprojekt“, sagt Margit Smoydzin.
So massiv und so nahe an ihre Eigentumswohnungen heran will der Mann vom Bauamt nun seinen Bau den Ehepaaren vor die Nase setzen, dass bald keinerlei Sonnenstrahlen mehr zu den Bewohnern im ersten Stock vordringen werden. Die Wohnungen im ersten Geschoss werden im Dauer-Schatten liegen, wenn erst der Neubau steht.
Besonders bitter auch: „Das Geld, das wir alle in unserem ganzen Leben angespart haben, ist in unsere Eigentumswohnungen geflossen – bei jedem etwa eine Viertelmillion Euro. Es war als Investition in die Alterssicherung gedacht“, erzählt Smoydzin. Man habe sich auf einen ruhigen Lebensabend in Schleswig gefreut, nun aber sei neben den anderen Unannehmlichkeiten ein beträchtlicher Wertverlust für die gerade erst gekauften Wohnungen zu befürchten.
Denn wer möchte schon in einer sonnenlosen Wohnung leben? „Dabei haben wir unsere Wohnung damals in dem guten Glauben erworben, dass der Verkäufer als Bauaufsicht bei der Stadt auch im Privaten eine seriöse und vertrauenswürdige Person ist“, sagt sie.
Beim Wohnungskauf damals habe man schon gewusst, dass der Bauaufsichts-Mitarbeiter auf seinem Grundstück davor bauen will: „Das war für uns auch in Ordnung. Aber natürlich nicht, dass das Ganze derart wuchtig ausfallen sollte. Von dem geplanten Koloss mit der übermäßigen Flächennutzung hat er uns kein Wort gesagt.“
Und das öffentlich aufgestellte Plakat mit der Projektskizze habe nicht erahnen lassen, dass quadratisch in die Breite gebaut werden soll. Dabei weisen die alten Häuser in der Langen Straße alle eine lang gesteckte Form auf („ähnlich einer Fischgräte“) sowie ein Spitzgiebeldach, das an den Seiten Helligkeit und Sonne für dahinter Wohnende durchließe, meint Smoydzin. So würde der geplante Neubau in Nr. 36 zwar die allgemeine Firsthöhe einhalten, jedoch wegen seiner Breite als einziges Haus aus der Reihe tanzen.
Margit Smoydzin, die gemeinsam mit ihrem Mann als Sprecher der fünf Wohnungseigentümer fungiert (der sechste Eigentümer hält sich bedeckt, da er verwandt ist mit dem Bauamts-Mitarbeiter), argumentiert: „Die Ausnutzung der Grundstücksfläche bei der Bebauung übersteigt alle Festsetzungen, die man in Schleswiger Bebauungsplänen vorfindet im Verhältnis von Geschossfläche zur Grundfläche.“ Sie verstehe nicht, wie man eine solche exzessive Grundstücksnutzung in der sensiblen Altstadt überhaupt zulassen könne.
Zur ominösen Doppelrolle des Bauamts-Mitarbeiters und Projektbetreibers gehört: In seinen privaten Bauangelegenheiten gibt er offiziell und nominell seine Ehefrau als Bauherrin an. Doch die Smoydzins und ihre Nachbarn hätten stets nur mit ihm zu tun, sagen sie.
Und, sehr heikel: Offensichtlich agiert der Mann häufiger in eigener Sache sogar von seinem städtischen E-Mail-Account im Bauamt heraus. Margit Smoydzin zeigt den Schleswiger Nachrichten entsprechende Mails des Bauamts-Mitarbeiters, die sie von ihm im Zusammenhang mit dem Projekt in der Langen Straße erhalten hat. Tatsächlich: Als Absender steht da seine Dienstadresse, nämlich „Stadt Schleswig – der Bürgermeister – Bau- und Umweltamt, Untere Bauaufsichtsbehörde“.
Missbraucht der Bauamtsmitarbeiter hier die Vertrauensstellung, die von seinem öffentlichen Amt auszugehen hat? Dass zumindest eine Verquickung mit eigenen Profit-Interessen vorliegt, scheint irgendwie auch Bürgermeister Arthur Christiansen zu befürchten. Jedenfalls zog er im Herbst das Widerspruchsverfahren seitens der Wohnungsnachbarn gegen die Baugenehmigung Lange Straße 36 an sich („als Chefsache“) und beauftragte seine Justiziarin Cordula Feß-Reiser von der Stabsstelle Rechtsangelegenheiten im Bauamt mit dem Fall.
Und nun?
Den betroffenen Wohnungseigentümern half das nicht viel weiter. Im Gegenteil. Anfang Dezember hat es ein Gespräch mit dem Bürgermeister gegeben: „Das lief für uns sehr enttäuschend“, sagt Margit Smoydzin. „Er hat den Bauantrag für den Neubau seines Mitarbeiters – oder offiziell natürlich von dessen Ehefrau – trotz der für die Lange Straße ungewöhnlichen Überdimensionierung genehmigt, weil angeblich alles nach Recht und Gesetz erfolgt sei.“ Sie habe „mit geballter Faust in der Tasche und Tränen in den Augen“ das Rathaus verlassen, sagt sie und ärgert sich: „Bürgermeister Christiansen verpasst die Chance, seinen starken Worten auch Taten folgen zu lassen.“
Denn in öffentlichen Veranstaltungen zum Thema Gestaltungssatzung in der Altstadt habe er in den vergangenen Monaten den „Wildwuchs“ in historischen Stadtquartieren angeprangert. Man müsse doch „endlich sicherstellen, dass nicht durch die Wirtschaftsinteressen Einzelner in der Altstadt Bauten entstehen, die den gesamten Charakter nachhaltig beeinflussen“. Mit diesem Satz ist er am 10. Mai in den SN zitiert worden.
Genau darum, um die Wirtschaftsinteressen eines Einzelnen, gehe es jetzt in der Langen Straße, sagt sie. „Wir sind erbost, dass der Bürgermeister es nicht einmal versucht, die Profit-Gier seines Mitarbeiters einzudämmen. Stattdessen dehnen er und die Stadtverwaltung diesen Gummi-Paragrafen 34 des Baugesetzbuches aus – und das historische Altstadt-Ambiente scheint dabei egal zu sein“, beklagt sie.
Was sagt die Stadt zu den Vorwürfen?
Auf Nachfrage der Schleswiger Nachrichten verweist Rathaus-Sprecherin Antje Wendt auf die geltenden Baugenehmigungsverfahren (Paragraf 34, Baugesetzbuch). Und gerade weil man den „Wildwuchs aufgrund wirtschaftlicher Interessen eindämmen“ wolle, werde von der Stadt derzeit eine entsprechende Gestaltungssatzung erarbeitet, die im ersten Halbjahr 2017 den Gremien vorgelegt werde, erklärte Wendt.
Info
Und wie geht es nun für die Smoydzins und ihre Nachbarn weiter? Die Eigentümergemeinschaft kündigt gegenüber den Schleswiger Nachrichten an, sich darauf vorzubereiten, „notfalls den Klageweg gegen die Stadt als Baugenehmigungsbehörde einzuleiten“.
