Die Population der eingewanderten Tierart ist explosionsartig gewachsen. Jäger wollen den Räuber stärker bejagen.
Die Einwanderungswelle des ursprünglich aus Asien stammenden Marderhundes hat nun auch den Kreis Pinneberg mit voller Wucht erreicht. Die Population hat sich deutschlandweit in den vergangen zehn Jahren beinahe verzehnfacht. Die Meinungen, wie das zu bewerten ist, gehen indes weit auseinander: Der Nabu Schleswig-Holstein hält das Tier für gut in die Natur integriert, die Jäger aber befürchten eine Verdrängung heimischer Tierarten.
Der Marderhund – auch Tanuki oder Enok genannt – gehört zur Familie der Hunde. Seinen Namen trägt er, weil er aussieht wie eine Kreuzung aus Marder und Hund. Die Art gilt hier als Neozoon, denn ursprünglich war sie hier nicht heimisch. Aus Ostasien stammend, wurden Marderhunde in Westrussland zur Fellproduktion gehalten. Von dort geflüchtete oder ausgesetzte Tiere breiten sich unaufhaltsam gen Westen aus.
Aufschluss über die Populationsentwicklung der meist nachtaktiven Tiere in den Wäldern und Flussauen bieten die Streckenergebnisse der Jägerschaft, also die Statistik der erlegten Tiere. „Die Entwicklung ist explosionsartig. 1995 wurden deutschlandweit knapp 400 Marderhunde erlegt, 2005 waren es über 30:000“, sagt Hans-Albrecht Hewicker, Ehrenvorsitzender der Kreisjägerschaft Pinneberg. „Wenn eine Population einen Höchststand erreicht, dann kommt es zu Epidemien, so auch beim Marderhund. 2010 brach der Bestand durch eine Räude in sich zusammen, auf weniger als 15:000 Tiere, doch 2014 waren es bereits wieder fast 24:000“, berichtet Herwicker.

In seinem Zug gen Westen besiedelte der Marderhund, der eher miaut oder winselt statt zu bellen, jährlich etwa je 30 Kilometer mehr, und so wurden 2007 erstmals auch im Kreis Pinneberg drei Marderhunde geschossen. Wie Jörg Frenzel von der Kreisjägerschaft mitteilt, waren es 2015 bereits 208. „Der Bestand hat sich jährlich fast verdoppelt, die Welle hat uns jetzt erreicht“, sagt Hewicker.
Jede eingeschleppte und eingewanderte Art wirkt durch ihre Lebensweise auf das heimische Ökosystem. „Die bei uns neu auftretenden Tierarten gelten als unerwünschte Neubürger“, schreibt der Nabu Schleswig-Holstein auf seiner Website. „Sie haben daher eine sehr lange Jagdperiode und sollen laut einer sehr fragwürdigen Empfehlung der EU ausgerottet werden, weil sie eine Bedrohung für die Artenvielfalt darstellten.“ Der Nabu kritisiert diese Vorgehensweise heftig, denn speziell der Marderhund habe sich „gut eingelebt im Land zwischen den Meeren“ und sei als „einheimisch“ zu betrachten. Größere Schäden durch ihn seien nicht belegt. In Ostdeutschland, wo er schon länger auftritt, sei er gut in die Natur integriert.
Ganz anderer Auffassung hierzu ist allerdings die Jägerschaft. „Bereits in Mecklenburg-Vorpommern haben wir erlebt, dass der Marderhund den Fuchs stark zurückdrängt, und so ist es jetzt auch hier bei uns“, sagt Jäger Hewicker. Die Tiere konkurrierten über den Tagesunterschlupf. „Der Marderhund, der selbst nicht in der Lage ist, solche Gänge herzustellen, fühlt sich in Fuchsbauten wohl und vertreibt ihre Bewohner daraus, denn er verströmt einen penetranten Geruch, der für den Fuchs höchst unangenehm ist“, so der Waidmann. Wenn sich im Bau vorher Junge befanden, sei der Nachwuchs der Füchse dahin. Außerdem müsse der Marderhund auch als Krankheitsüberträger betrachtet werden, denn beide Tierarten gehören zur Hundefamilie. „Zumindest in der Anfangsphase ist der Marderhund deutlich durchsetzungsfähiger“, meint der ehemalige Forstdirektor.
Info
Der Marderhund (Nyctereutes procyonoides) wird auch Tanuki oder Enok genannt, sieht äußerlich wie eine Mischform aus Mardern und Hunden aus. Er ähnelt auch dem Waschbären. Die Kopfrumpflänge erwachsener Tiere beträgt etwa 50 bis 68 Zentimeter, hinzu kommen 13 bis 25 Zentimeter Schwanz. Sie haben eine Schulterhöhe von 20 bis 30 Zentimetern und wiegen zwischen vier und zehn Kilogramm. Ob sie sich in die heimische Fauna gut einfügen oder zur Bedrohung angestammter Tierarten werden, darüber sind sich Naturkundige nicht einig.
Hauke Pannen, Pressesprecher des Hegerings Drei rund um Elmshorn, ergänzt: „Sogar einen Dachsbau haben wir gefunden, der übernommen wurde.“ Die Jäger vertreten daher die Auffassung, dass der Marderhund bekämpft werden muss. „Nach dem Bundesnaturschutzgesetz haben wir den Auftrag, invasive Arten zurückzudrängen“, erläutert Hewicker. Mit der Flinte ist dem scheuen und nachtaktiven Marderhund aber schwer beizukommen. „Und das Fangjagen mit Fallen wird in Schleswig-Holstein durch bürokratische Vorgaben immer schwerer gemacht“, kritisiert er.
Auch für Bodenbrüter wie den Kiebitz, der seit 2015 auf der Roten Liste steht, ist der Marderhund eine Gefahr, denn auf dessen Speiseplan stehen neben Früchten, Aas und Insekten eben auch Vogeleier und kleinere Wirbeltiere.

Uwe Helbing, Nabu-Mitglied und Schutzgebietsbetreuer im Naturschutzgebiet Haseldorfer Binnenelbe mit Elbvorland, ist in der Frage, ob Marderhunde stärker gejagt werden sollen, trotzdem zwiespältig. „Es ist zwar nicht schön, dass der Marderhund sich so vermehrt, aber im Naturschutzgebiet ist eine Bejagung durch das fast undurchdringliche Dickicht nicht möglich“, sagt das Mitglied des Teams Elbmarschenhaus. Zwischen den Jägern und den Naturschützern hat es bereits Gespräche zum Thema Prädatorenmanagement, also dem Umgang mit Raubtieren, gegeben. Doch zu bestimmten Zeiträumen könne man hier nicht jagen, denn das würde die Vögel bei der Brut stören, meint Helbing.
Helbing gibt auch zu bedenken: „Bejagt man nur den Marderhund, dann schlüpft in die entstandene Lücke ein anderer Räuber, da das Revier freigeworden ist. Also müsste man allen Räubern nachstellen.“ Jäger Hewicker sieht das ganz anders: „Jede Art hat seine ökologische Nische und seine Eigenarten“, meint er. „Je mehr Räuber mit verschiedenen Verfahrensweisen unterwegs sind, desto problematischer ist das für die Bodenbrüter.“
Eine wesentliche Ursache für das Verschwinden der Kiebitze und weiterer Wiesenvögel, da ist sich Nabu-Mann Helbing sicher, seien jedoch weder der Marderhund noch andere Raubtiere, sondern die Menschen. Den Vögeln mangele es „an geeigneten Grünlandflächen. Diese werden von der Landwirtschaft zu intensiv genutzt oder in Maisschläge umgewandelt“, sagt der Naturschützer.