Wenig männliche Lehrer Schulen in SH: Viele Jungen bleiben auf der Strecke

Von Peter Höver/Anette Schnoor | 24.08.2016, 16:58 Uhr

Es gibt Lern-Unterschiede zwischen Schülern und Schülerinnen. Die „Feminisierung“ im Bildungswesen wird diesem nicht gerecht.

Man erinnert sich an die Szene in Heinrich Spoerls legendärer „Feuerzangenbowle“. In der Konferenz an der höheren Lehranstalt zu Babenberg traf sich – eine reine Herrenunde an einem Gymnasium nur für Jungs. Die Zeiten sind lange – und zum Glück – Geschichte. Schulmeister haben längst kollektiv den Rückzug aus dem Lehrerzimmer angetreten. Selbst in den bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts noch männerdominierten Gymnasien sind die Herren (Ober)Studienräte in der Minderheit.

Knapp 60 Prozent der Lehrkräfte an den Gymnasien sind heute weiblich. Tendenz weiter steigend. Von den 4600 Studierenden für ein Lehramt waren im Wintersemester 2014/15 rund 2900 oder 63 Prozent weiblich. Ob die Jungs nach dem Studium den Weg an eine allgemeinbildende Schule finden, steht noch auf einem anderen Blatt.

 

Kein Zweifel jedenfalls. Dem Arbeitsmarkt Bildung und Erziehung, von der Politik gebetsmühlenartig als bedeutsamste aller Zukunftsaufgaben bezeichnet, gehen die Kerle aus. 68,5 Prozent aller 26.145 Lehrkräfte an den allgemein- und berufsbildenden Schulen waren nach Statistiken des Kieler Bildungsministeriums im Mai weiblich. Nicht neu, aber seit vielen Jahren beklagt.

Am höchsten ist der Grad der „Feminisierung“ an den Grundschulen, wo sich unter knapp 6772 Lehrkräften gerade noch 634 männliche Kollegen finden. Kaum anders das Bild bei den Schulassistenten, die seit ein paar Monaten eingestellt werden, um vor allen Grundschulen zu unterstützen. Über 90 Prozent der eingestellten Kräfte, die eine Ausbildung etwa als Erzieher oder sozialpädagogische Assistenten hinter sich haben, ist weiblich.

Kann das gut gehen? Bildungsforscher und -politiker haben Zweifel. Nicht nur weil männliche Vorbilder und Bezugspersonen von der Krippe über die Kita bis in die Schule eine große Rolle spielen. Jungen lernen auch „anders“ als Mädchen.


Mädchen sind an der Schule klar im Vorteil

Nach Studien, aus denen der Hamburger Bildungsforscher Prof. Peter Struck zitiert, lernen nur etwa zehn Prozent der Jungen allein durch Lesen, Zuhören und Sehen; 90 Prozent schaffen es vor allem durch Handeln, Ausprobieren und Fehler machen. Bei Mädchen schaffen es immerhin 40 Prozent durch Lesen, Zuhören und Sehen.

Fazit: Mädchen sind, auch weil sie sich besser anpassen können, bei den vorherrschenden Unterrichtsmethoden klar im Vorteil. Und weil Fehler nicht gut kommen im Schulsystem, haben viele Jungs das Nachsehen. Schlechte Noten, glaubt Struck, führten zur Beschämung und Demotivierung. „Manche geben auf, landen in einem Teufelskreis, stürzen weiter ab bei den Leistungen.“

Daten des Statistischen Landesamtes Nord scheinen das zu belegen. In den 70er Jahren etwa lag die Zahl der Jungen, die in Schleswig-Holstein die allgemeine Hochschulreife erreichten, mit 1789 noch deutlich vor der junger Frauen mit Abitur (1378). Im Jahrgang 2013/14 führten die jungen Frauen mit bestandenem Abi (4978) dagegen deutlich vor den jungen Herren (4372). Mehr noch. Im Notendurchschnitt führen die Mädels bundesweit gesehen um fast eine ganze Note vor den Jungen.

Das statistische Pendant liefern Förderschulen für emotional und soziale Entwicklung. 95 Prozent der Schüler hier sind nach Erkenntnissen von Struck Jungen. Das müsste nicht so sein, glaubt der Professor. Voraussetzung für größere Schulerfolge des „starken Geschlechts“ wäre allerdings, dass auch Lehrerinnen „sich darüber freuen, dass Jungen beim Lernen Fehler machen“. Doch tatsächlich, so Strucks Befund, „werden Jungen an deutschen Schulen wie Mädchen behandelt“.


Schulen zur Diaspora für Männer gemacht

Warum Männer sich beim Lehrerberuf aus dem Staub machen, darüber rätseln auch die Bildungsminister. Für die Schulen gelte, was für die Landesverwaltung insgesamt der Anspruch sei, sagt Bildungsministerin Britta Ernst (SPD): „Es sollte in den Schulkollegien, aber auch bei den Schulischen Assistenzkräften ein Gleichgewicht zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten erreicht werden.“

Die Realität, weiß Ernst, „in einzelnen Schularten ist derzeit eine andere“. Und als Lösung fällt der Ministerin kaum mehr ein als ein müder Appell: „Auch für mehr Männer sollten der Lehrerberuf und weitere pädagogische Professionen attraktiv sein. Schülerinnen und Schüler brauchen auch Männer als Lehrkraft und Vorbild im Klassenzimmer.“

Mehr als ein frommer Wunsch ist das bisher kaum. Nicht nur Ernsts Vorvorgänger Ekkehard Klug etwa mutmaßt, dass die Veränderung gesellschaftlicher Rollenbilder die Schulen zur Diaspora für Männer gemacht hat. Arbeit mit Kindern werde offenbar zunehmend als Frauensache empfunden.

Eine echte Lösung im Kampf gegen den Lehrermangel ist nicht in Sicht. Stattdessen gibt es immer wieder Appelle an Abiturienten, nicht gleich einen Bogen um ein Studium für „diesen vielleicht wichtigsten Beruf in der Gesellschaft“ zu machen.

Ins selbe Horn hatte schon vor Jahren der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes gestoßen. Alles sei eine Frage der Werbung unter den Abiturjahrgängen, sagt Josef Kraus. „Man sollte gezielt auf Schulabgänger zugehen, ihnen schmackhaft machen, wie lohnend die Aufgabe ist.“

Der Pädagoge weiß nur zu gut, wie sehr Eltern und auch Kinder nach männlichen Lehrern schon in der Primarstufe lechzen. „Man spürt förmlich die Erleichterung, wenn ein Lehrer vor der Klasse steht. Einige sagen: ,Endlich, ein Mann‘.“ 

Der Schrecken der „Feminisierung“ - Leitartikel von Anette Schnoor
 

Dem Bildungssystem gehen die Männer aus. Das Schreckgespenst einer „Feminisierung“ macht  die Runde. Vertreter des Philologenverbandes warnen davor, dass männlichen Schülern bald die „Vaterfiguren“ fehlen werden. Dramatisierend sprechen sie von einer „Katastrophe“. Das ist übertrieben. Geht es um Wissensvermittlung, ist das Geschlecht eines Lehrers  „schlicht egal“, wie eine Studie des  Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin zeigt. Was das betrifft, kommt  Schule gut ohne Männer – und ohne  Nörgelei über angeblich bevorzugte Bewerberinnen – aus.

Die wirkliche Katastrophe verbirgt sich hinter der mit seltener Einigkeit vorgetragenen Forderung an Lehrerinnen und Lehrer, weibliche oder männliche Identifikationsfiguren zu sein – sozusagen als Vater oder Mutter im Klassenzimmer zu dienen. Dieser gesellschaftliche Konsens zeigt Resignation auf breiter Front: Wir nehmen es als selbstverständlich hin, dass Eltern und Familie immer weniger Erziehungs- und Bindungsaufgaben übernehmen. Kaum jemand versucht, ernsthaft etwas daran zu verändern. Stattdessen wird nach „Vater Staat“ gerufen: Wir geben die Verantwortung für Kinder und Jugendliche einfach an diejenigen weiter, die sowieso täglich mit ihnen  zu tun haben, die dann gut ausgebildet und professionell mit der Situation umgehen.

Zurück zu den fehlenden männlichen Lehrkräften: Welcher Hochschulabsolvent macht sich freiwillig zur Zielscheibe solch gewichtiger gesellschaftlicher Ansprüche? Wer will  den Bindungs- und Bildungsmangel einer Leistungsgesellschaft verwalten, die ihm in der freien Wirtschaft beste berufliche und finanzielle Möglichkeiten gibt? Menschen, die mit Blick auf die eigene Familie den Vorteil geregelter Arbeits- und Ferienzeiten schätzen, machen das vielleicht. Menschen, die sich ohnehin sozial engagieren und  Kinder in den Mittelpunkt stellen – zumeist werden es wohl Frauen sein.

 

TEASER-FOTO: Redaktion