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Flensburger Schifffahrtsmuseum Erinnerung an ein dunkles Erbe

Von Joachim Pohl | 01.06.2016, 11:00 Uhr

Deutsch-dänisches Projekt zur gemeinsamen Kolonialzeit / Wissenschaftlerin aus Westindien spricht Klartext

„Viele Dänen und viele Deutsche leiden an einer Amnesie, wenn es um die Erinnerung an den Horror geht, den ihre Vorfahren verursacht haben. Und sie brauchen eine Heilung von der Psychose.“ Überaus deutliche und emotionale Worte fand Dr. Imani Tafari-Ama, Kulturwissenschaftlerin aus Jamaika, gestern bei der Vorstellung eines ambitionierten deutsch-dänischen Projektes zum Kolonialerbe. Sie ist die Kuratorin einer Ausstellung, die ein zentrales Ergebnis des anderthalbjährigen Projekts sein wird. Anlass ist im kommenden Jahr der 100. Jahrestag des Verkaufs der heutigen Virgin Islands von Dänemark an die USA – samt der Bewohner, Nachfahren der Sklaven, die in den Jahrhunderten davor in Afrika gekidnappt, verschleppt und nach Westindien gebracht worden waren.

Der Prozess des kritischen Erinnerns werde das Trauma beleuchten, das Afrikaner erlitten „durch ihr Kidnapping, den Überland-Transport in Ketten, die Gefangenschaft in dänischen Forts, bevor sie die 90-Tage-Passage in die Karibik erlitten oder nicht überlebten, durch ihren Verkauf bei Menschen-Auktionen auf Plantagen, durch ihre Brandmarkung und ihre Gefangenschaft, bei der sie täglich Formen der Grausamkeit erlitten wie Vergewaltigung, Mord, Schläge, erzwungene Arbeit, Kastration, Verstümmelung und weitere dokumentierte und nicht dokumentierte Formen des Missbrauchs.“

Trotzdem freuten sich Oberbürgermeister Simon Faber, der Leiter des Museums Sønderjylland, Jens Møller, der Leiter des Schifffahrtsmuseums, Thomas Overdick, und die weiteren Projektbeteiligten über den Beginn des ambitionierten 200  000-Euro-Projektes, zu dem neben der Ausstellung die aufwendige Forschungsarbeit von Dr. Tafari-Ama u.a. in Ghana und auf den Virgin Islands gehört, aber auch ein Medienkoffer mit Materialien für Schulklassen, ein bildreich gestaltetes und editiertes Buch mit Beiträgen zahlreicher Autoren, eine Route zu 20 Orten der Erinnerung sowie Vorträge und kulturelle Veranstaltungen. Die Ausstellung soll im Mai 2017 eröffnet werden.

„Welche Spuren hat diese Zeit hinterlassen? Wie gehen wir heute mit diesem Erbe um?“ Overdick nannte zwei Ausgangsfragen des Projekts, das mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes gefördert werde. Durch Rum, Zucker und Ziegeleien wirke die Kolonialzeit bis in die Gegenwart. Es gehe auch darum, einen Austausch mit Westafrika und den Virgin Islands zu entwickeln und auszubauen. Teile des kolonialen Erbes seien nicht im Bewusstsein der Bevölkerung verankert.

„Dieses Projekt kommt aus der leidenschaftlichen Sehnsucht nach Versöhnung, basierend auf Gerechtigkeit und in Erkenntnis der Tatsache, dass, bevor wir getrennt wurden, eine Rasse waren – die menschliche Rasse, die aus Afrika stammt“, schloss Imani Tafari-Ama.