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Flensburger Geheimnisse Ein Stein markiert die Mitte der Stadt

Von Eva-Maria Bast | 01.11.2016, 18:31 Uhr

Kunstwerk aus Bronze und Granit am Standort des Flensburger Thingplatzes und des ersten Rathauses

Manchmal sind es unscheinbare Kleinigkeiten, die bei aller Banalität ihren festen Platz im Stadtbild haben. Wenn sie überhaupt wahrgenommen werden, verschwendet der Passant kaum einen Gedanken an sie: ein Stein mit unerklärlichen Markierungen oder ein eigenartiger Halter aus Gusseisen an einer Fassade. Eva-Maria Bast und Jørn Precht aus dem Verlag Bast Medien haben sich auf die Spur dieser Eigentümlichkeiten gemacht und Einheimische gesucht, die sie erklären können. Diese „Flensburger Geheimnisse“ werden in einem neuen Buch beschrieben. Die Stadtredaktion stellte einige Geheimnisse vor. Heute: der Mittelpunktstein.

„Flensburger Punkte“ haben bundesweit nicht den besten Ruf. Einen ganz besonderen „Flensburger Punkt“ kennt Jan Koschitza – zwischen einem Spielzeugladen und einem Schnellrestaurant auf der Großen Straße. An der Ecke zur Rathausstraße fiel er ihm auf: ein Kreis aus Bronze im Granit des Belags. „Ich bin jahrelang darüber hinweggelaufen, ohne ihn zu bemerken. Das geht wohl den meisten so“, erklärt Koschitza. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man einen Schriftzug links neben dem Bronzekreis: „Mittelpunkt der Stadt Flensburg“ steht da in einem rötlichen Steinfeld. „Die meisten würden wohl instinktiv vermuten, dass der Hafen den Stadtmittelpunkt bildet, aber das ist weder geographisch noch historisch korrekt“, hat Koschitza recherchiert. „Geographisch liegt der Mittelpunkt der Stadt derzeit auf Höhe der Käte-Lassen-Schule in der Mommsenstraße im Stadtteil Jürgensby.“

Und warum befindet sich dann an der Ecke Rathaus-/Große Straße der historische Mittelpunkt? „Hier grenzten im Mittelalter die großen Kirchengemeinden St. Nikolai und St. Marien aneinander, und damals war das ungefähr die Stadtmitte. Daher war an dieser Stelle bis zum Spätmittelalter der Thingplatz. Dort traf sich die Bürgerschaft zum ,Allmannsthing‘, also zum Bürgerrat. Im Beisein des Stadtvogts wurde Recht gesprochen, wurden öffentliche Bekanntmachungen verlesen – und die städtischen Ausgaben geplant.“ Damals genügte der Stadt dieser Ratsplatz statt eines Rathauses, denn in Flensburg lebten im Mittelalter nur ungefähr 2000 Menschen. Begrenzt wurde der Thingplatz nördlich vom Bach Rutebek, die heutige Rathausstraße existierte noch nicht. Als die Anzahl der Bürger auf über 3000 angewachsen war, beschloss der Allmannsthing 1443 den Bau eines Rathauses auf dem Grundstück Große Straße 1, die damals noch Herscopstrate hieß. Der zweistöckige Ziegelsteinbau wurde 1445 fertig gestellt und diente über vier Jahrhunderte als Rathaus. 1882 wurde durch Wirtschaftswachstum und steigende Bevölkerungszahlen eine größere Verwaltung unerlässlich. Das alte Rathaus wurde im Jahr 1883 abgerissen, das Nachfolgegebäude war ein Jahr zuvor auf dem Holm 7 bezogen worden.

1960 entstand das Gebäude am Pferdewasser oberhalb der Nikolaikirche. Am 21. Mai 1964 konnte endlich das neue Rathaus bezogen werden. „An das erste Rathaus hier auf dem Thingplatz erinnert heute nur noch der Name Rathausstraße“, sagt Jan Koschitza. „Und das Kunstwerk.“ Wann und wie kam der bronzene Mittelpunkt hier her? „Das war eine Idee der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte“, erklärt er. „Deren damaliges Mitglied Marianne Schreckenberger hatte ähnliche Stadtmittelpunkt-Symbole in Karlsruhe, London und Paris gesehen. Ende der 1980er wurde beschlossen, ihre Idee umzusetzen.“ Die genauen Daten des Mittelpunktes ermittelte Prof. Lutz Fiesser von der Universität Flensburg, der spätere Begründer der „Phänomenta“. Unter der Leitung des Flensburger Künstlers Uwe Appold wurde ein Wettbewerb für die Studierenden der Werkkunstschule Flensburg veranstaltet. Es gewann der Entwurf des jungen Bildhauers Dietmar Gördes. Am 28. Oktober 1989 übergab die Gesellschaft für Stadtgeschichte das seinerzeit 4000 Mark teure Kunstwerk offiziell an die Stadt. „Flensburger, die ihre ‚Mitte suchen’, werden hier also seit rund drei Jahrzehnten fündig“, sagt Jan Koschitza schmunzelnd. „Zumindest, wenn sie zwischen Burgern und Spielzeug genau hinsehen.“ 

Das Buch „Flensburger Geheimnisse – 50 spannende Geschichten aus der Förderegion“ von Eva-Maria Bast und Jørn Precht erscheint heute beim Flensburger Tageblatt und kostet 14,90 Euro. Erhältlich ist es beim Flensburger Tageblatt, im Buchhandel, telefonisch unter 07551-63320 oder unter www.bast-medien.de (portofrei). ISBN: 978-3-946581-00-0.