"Big Brother Awards 2019" "Zeit Online" und weitere "Datenkraken" erhalten Negativpreise

Von Lorena Dreusicke | 08.06.2019, 20:19 Uhr

Der Verein Digitalcourage vergibt 2019 Schmähpreise in fünf Kategorien.

Die Datenschützer-Initiative Digitalcourage macht mit ihrem Schmähpreis, den "Big Brother Awards", aufmerksam auf einen problematischen Umgang mit privaten Daten. Die Preisträger 2019 im Überblick:

Kategorie "Behörden und Verwaltung":

Der hessische Innenminister Peter Beuth erhält den Schmähpreis, weil er laut der Jury dafür verantwortlich ist, dass die US-Firma Palantir, die der CIA nahe steht, beauftragt wurde, ihre Analsysesoftware "Gotham" im IT-System der hessischen Polizei zu installieren. Die Überwachungsfirma sei hoch umstritten. Digitalcourage fürchtet, dass vertrauliche Polizeidaten in die USA abfließen könnten, wenn Palantir Zugang zum Datennetz der hessischen Polizei erhält.

Auch die neue Analysesoftware "Hessen-Data" an sich lehnt der Verein ab. Die automatische Verknüpfung von Überwachungsdaten aus mehreren Quellen widerspreche Grundrechten, Datenschutz und Rechtsstaat, so der Vorwurf.

Kategorie "Verbraucherschutz":

Das Nachrichtenportal "Zeit Online" wird für seine Nutzung von Google-Diensten beim Online-Diskussionsforum "Deutschland spricht" mit dem Negativpreis ausgezeichnet. Das Forum will Nutzer mit verschiedenen Haltungen zusammenführen. Dabei könnten ihre politischen Ansichten auf Google-Servern in den USA gespeichert werden, fürchtet Digitalcourage. Außerdem habe Google das Projekt teilfinanziert, was die journalistische Unabhängigkeit beschädige, so der Vorwurf.

Zudem kritisiert der Verein den Einsatz von Werbetrackern auf "Zeit Online", die Seitenaufrufe von Besuchern registrieren und ihnen individualisierte Werbung anzeigen.

"Zeit Online" stellte in seinem Transparenzblog "Glashaus" klar, dass Datenmissbrauch durch Google vertraglich ausgeschlossen worden sei und alle Daten in Deutschland lägen. Zudem lasse sich der individuelle Zuschnitt von Werbung manuell ausschalten.

Kategorie "Biotechnik":

Der Marktführer zur Stammbaumforschung Ancestry.com, mit einer Niederlassung in München, gilt als "Datensünder", weil Nutzer einwilligen müssen, die Kontrolle über ihre genetischen Daten abzutreten. Welche "Forschung" mit ihrer Speichelprobe betrieben werde, hätten sie nicht in der Hand.

Kategorie "Kommunikation":

Bringt ein Bewerber die nötige berufliche Eignung mit? Wie kann ein Callcenter-Betreuer einen verärgerten Anrufer beruhigen? Die Aachener Firma Precire Technologies wirbt damit, Emotionen und Motivation per Sprachanalyse erfassen zu können. Ihr Algorithmus ordnet dem Sprechmuster Charaktereigenschaften zu. Wissenschaftlich sei das nicht haltbar, betont etwa der Osnabrücker Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning, doch angeblich nutzen 100 deutsche Unternehmen die Technik für Einstellungsgespräche.

Dass in einigen Callcentern ungefragt und in Echtzeit eingehende Anrufe angeblich zur Analyse an Precire übermittelt werden, ist laut Digitalcourage illegal. Dies verletze die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes und das Telekommunikationsgeheimnis.

Kategorie "Technik":

Ausgezeichnet wird das "Technical Committee CYBER" des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI). Es sollte eigentlich einen verbesserten Standard für die Verschlüsselung von Webseiten festlegen. Stattdessen habe das Gremium eine gefährliche "Sollbruchstelle" im Kommunikationskanal zwischen Browser und Server geschaffen.

Das sogenannte Enterprise-TLS, kurz ETS, ermögliche es, dass staatliche Stellen über Umwege sämtliche Kommunikation auf Internetseiten nachlesen könnten. Zudem könnten Kriminelle sensible Daten abgreifen. Das alte TLS 1.3-Protokoll sei somit sicherer als das neue, warnt Digitalcourage.

"Big Brother Awards" in Deutschland seit 2000 verliehen

Erfunden wurden die "Big Brother Awards" 1998 von der Londoner Menschenrechtsorganisation "Privacy International". Seit 2000 wird der Preis vom Bielefelder Verein "Digitalcourage" gemeinsam mit weiteren Bürgerinitiativen ausgeschrieben. Eine Jury aus Menschenrechtlern, Computerexperten sowie Daten- und Verbraucherschützern wählt die Preisträger aus.

Die Preisvergabe wird per Livestream übertragen.

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