shz.de im Interview mit Dr. Fabian Geyer, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands Flensburg-Schleswig-Eckernförde
Aus 100 Bewerbern die zehn besten heraussuchen und sich dann entscheiden – das war einmal, meint Dr. Fabian Geyer, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands Flensburg-Schleswig-Eckernförde. Personal zu finden sei heutzutage richtig schwer. Flexibilität, eine offene Kommunikation und Selbstreflexion sowie die Bündelung von Kräften sieht er als Schlüssel, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten.
Herr Dr. Geyer, Sie sagen, dass Unternehmen heute ungewohnte Wege gehen müssen, um qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Warum ist das so?
Die Arbeitswelt hat sich verändert. Viele Jahrzehnte sind Bewerber auf einen Arbeitsmarkt gestoßen, in dem sie viel Konkurrenz hatten. Es war ein Arbeitgebermarkt. Hunderte Mitbewerber waren nicht selten, auch bei Ausbildungsplätzen. Unternehmer haben aus einem großen Pool den für sie passenden Kandidaten ausgewählt. Wollte oder konnte man zum Beispiel in Teilzeit arbeiten, hatte man häufig schlechte Karten, genauso wie es Betriebe gab, die lieber den Mann eingestellt haben als eine Frau. Das war leider immer wieder zu beobachten. Zwischendurch gab es fast fünf Millionen Arbeitslose und für Unternehmen war es relativ leicht Personal zu gewinnen.
Jetzt ist die Situation durch geänderte Rahmenbedingungen anders. Erstens wurden in den 1980ern bis 2000ern viele Menschen in die Frühverrentung geschickt. Zweitens werden die Jahrgänge geburtenschwächer und drittens bleiben junge Menschen länger im Schulsystem. Wir erleben eine enorme Akademisierung. Heute macht über die Hälfte der Jugendlichen Abitur und strebt in die Hochschulen, während die duale Ausbildung weniger nachgefragt wird. Wir bilden mehr Akademiker aus, haben aber z.B. in unserer Region keinen großen Akademikermarkt. Uns fehlen daher die Fachkräfte.
Für Unternehmen bedeutet das, dass sie jetzt kein Überangebot an Bewerbern mehr haben. Gleichzeitig sind fachliche und digitale Qualifikationen mehr gefordert denn je. Der Generalist ist nicht mehr gefragt, wir suchen Spezialisten. Wenn ich solche Fachleute suche, ist die Nachfrage auf dem Markt, zum Beispiel im Bereich Dienstleistungen oder IT, höher als das Angebot. Arbeitgeber haben große Mühe ihre Stellen zu besetzen. Die Mitarbeitergewinnung ist heute richtig schwer und aufwendig.
Was können Unternehmen tun um auf dem Bewerbermarkt erfolgreich zu sein?
Man sollte Dinge ausprobieren und viel Empathie haben. Ich muss mich in die Bewerber hineinversetzen, warum sie ausgerechnet zu mir kommen sollten und – ganz wichtig – mich als Unternehmen immer selbst hinterfragen. Wie offen und flexibel bin ich, welche Möglichkeiten gebe ich Menschen sich beruflich und persönlich bei mir zu entwickeln? Was könnte Mitarbeiter motivieren zu mir zu kommen und zu bleiben? Unternehmen müssen für sich ein eigenes Angebot entwickeln, das sie von anderen unterscheidet. So habe ich selbst schon von Unternehmen erfahren, die Azubis den Führerschein bezahlen. Und in Dänemark wird bereits Studienanfängern ein Arbeitsvertrag angeboten. Ganz nach dem Motto: „Wenn du dein Studium fertig hast, kriegst du bei uns den ersten Arbeitsplatz.“
Die Mitarbeiterfrage ist die aktuelle Existenzfrage. Man stelle es sich doch nur einmal vor: Was passiert, wenn ein Unternehmen nicht genügend Mitarbeiter bekommt? Es kann Aufträge nicht annehmen und bearbeiten, kann nicht wachsen und wird zunehmend unattraktiv. Wenn ich jedem zweiten Kunden absagen muss, weil ich wegen Personalmangels nicht liefern oder arbeiten kann, spricht sich das herum. Die Folge: Kleinere Betriebe werden sich zusammenschließen müssen. Drei bis vier Unternehmen aus der Region, die einst Konkurrenten waren, werden sich zusammentun, oder sie verschwinden vom Markt oder werden von außen geschluckt. Ich kann ja bei steigenden Kosten nicht auf null Wachstum setzen, wenn ich zukunftsfähig bleiben will.
Die Bündelung von Stärken sehen Sie auch auf anderer Ebene als zielführend, Stichwort Regionalmarketing. Was hat es damit auf sich?
Der ein oder andere erinnert sich vielleicht noch an den Slogan „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“. Er war Teil von Baden-Württembergs Regionalmarke. In der Mitarbeiterfindung sehe ich ebenfalls eine gemeinschaftliche Aufgabe, um das Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass wir als Standort nur bestehen können, wenn wir einen attraktiven Regionalarbeitsmarkt haben. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand und sollten in der Region Schleswig-Flensburg, Nordfriesland und südliches Dänemark unsere Kräfte bündeln, um gemeinsam konkurrenzfähig zu bleiben.
Eine andere Herausforderung ist es gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten.
Wir beobachten, dass das Ende der Coronabeschränkungen bewirkt, dass Menschen mutiger werden den Arbeitsplatz zu wechseln. Darum ist das Thema Mitarbeiterbindung wieder hochaktuell. Als Unternehmen muss ich mich also fragen: Was könnte meinen zukünftigen oder aktuellen Mitarbeiter bewegen bei mir zu bleiben? Es wird oft pauschal behauptet: „Das Gehalt ist gar nicht mehr so wichtig, sondern vielmehr die Arbeitsbedingungen.“ Das würde ich so nicht unterschreiben. Das Gehalt ist und bleibt wichtig, insbesondere wenn die Preise steigen. Ebenso wenig ist die Work-Life-Balance alles. Es gibt nicht die Lösung. Unternehmen müssen vielmehr herausfinden, was denen, die bei ihm arbeiten, wichtig ist. Das kann eine vernünftige Altersvorsorge sein, ein Zuschuss zur privaten Krankenversicherung, das Arbeitsumfeld, die mobile Tätigkeit, wenn es zur Arbeitsaufgabe passt, oder die Ausstattung mit einem Dienstfahrzeug, Handy, oder Laptop – jedem sind verschiedene Dinge wichtig.
Es ist essenziell, dass beide Parteien miteinander reden und gemeinsam die Interessen ausloten. Jedes Unternehmen braucht Menschen oder eine Abteilung, die sich mit dieser Thematik befasst und ein offenes Ohr für die Mitarbeiter in ihren verschiedenen Lebensphasen. Das Wichtigste ist immer die ehrliche und offene Kommunikation. Ich kann das tollste Unternehmen sein. Aber wenn ich nicht zuhöre, was Menschen innerlich bedrückt und beschäftigt, hat das Unternehmen langfristig verloren. Für die Marke eines Arbeitgebers – egal ob privat oder öffentlicher Dienst – ist eine Haltung der Offenheit, des Vertrauens und gegenseitigen Interesses unverzichtbar. Egal ob kleiner Betrieb oder Weltmarktführer, jeder dort will ernstgenommen und wertgeschätzt werden. Es kann so einfach sein. Aber viele haben die Fähigkeit oder Bereitschaft zur Selbstreflexion nicht. Der Arbeitnehmer wiederum muss natürlich genauso verstehen, dass auch das Unternehmen permanent unter Druck steht. Es braucht also ein beiderseitiges Verstehen, Toleranz und Vertrauen.
Im letzten Interview sprachen Sie über den Wert der dualen Ausbildung. Inwiefern kann sie dem Fachkräftemangel entgegenwirken?
Der Fachkräftemangel bedeutet nicht, dass ein Unternehmen jeden Bewerber braucht, der sich anbietet. Unternehmen brauchen natürlich nur geeignetes Personal. Die große Illusion ist, dass ich alleine mit einem Uniabschluss sofort genommen werde. Noch vor einigen Jahrzehnten hatte man als Akademiker kaum Probleme einen Job zu finden. Doch Unternehmen achten heute sehr genau darauf, welches Angebot der Bewerber einem Unternehmen macht. Habe ich zum Beispiel BWL studiert und kann Zahlen lesen und kenne die Theorie, reicht das nicht. Wenn ich keinen nachweislichen Praxisbezug habe, den ich vorlegen kann, bin ich nur Studierter, mehr nicht. Viele Unternehmen wollen das Risiko nicht mehr eingehen Menschen einzustellen, die nur studiert haben.
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Der Fehler fängt bereits mit der Schulplanung an. Erstmal irgendwie Abi machen, dann irgendetwas studieren. Wenn ich nicht einen ganz klaren beruflichen Plan verfolge, tue ich mit einem Studium etwas, von dem ich nicht überzeugt bin. Ich brauche einen Lebens- und Berufsplan, plane also idealerweise schon in der Schule, was ich später machen will. Eine duale Berufsausbildung oder ein duales Studium bieten dabei immer praktisches Wissen und eine hervorragende betriebliche Grundausbildung.
Haben auch Quereinsteiger heutzutage bessere Karten als früher?
Ich würde sagen ja. Unternehmen sind froh über Bewerbungen, man ist offener und erwartet keine geradlinige Ausbildung mehr. Ein Quereinsteiger hat den Vorteil, dass er Berufserfahrung mitbringt. Es ist ein Weg, dem Arbeitskräftemangel zu begegnen, wenn alle bereit sind sich anzupassen. Die Deutschen waren viele Jahrzehnte geprägt auf den Weg „eine Ausbildung, ein Beruf, Rente“. Ein völliger Neuanfang, wie man ihn aus den USA als Teil der Arbeitskultur kennt, gibt es bei uns selten. Bei uns macht man sich vielleicht nochmal selbständig in dem Bereich, den man gelernt hat. Ich finde Menschen, die umsatteln und Firmen, die das mitgehen, faszinierend. Wer dafür offen ist, erweitert seinen Horizont und die persönlichen Möglichkeiten.
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