Der Arbeitgeberverband-Chef Dr. Fabian Geyer im Interview über beiderseitige Vorurteile und Unwissen bei der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen in Unternehmen.
Mehr als eine Million Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung sind in deutschen Unternehmen angestellt, so die offiziellen Zahlen. Es wird jedoch von einer höheren Dunkelziffer ausgegangen. Warum ist das Thema in der Arbeitswelt häufig noch ein Tabu?
In Deutschland fehlt oft eine natürliche Offenheit in der Beziehung Arbeitnehmer - Arbeitgeber. Wir haben uns angewöhnt Dinge zu verschweigen, wenn sie nicht der bekannten Norm entsprechen. Skeptisch sein, Misstrauen hegen, das ist so eine grundsätzliche Mentalität, die sich auch im Arbeitsleben widerspiegelt. Dabei ist der nicht-genormte Mensch das Normale, nicht die Menschen, die uns in der Werbung oder den sozialen Medien häufig begegnen.
Doch das Thema ist Alltag, man muss sich damit beschäftigen. Es gibt hunderte persönliche Gründe, die die Erwerbstätigkeit beeinträchtigen. Multiple Sklerose, Diabetes, Rheuma, Krebserkrankungen, chronische und zunehmend psychische Leiden können zu einer Einschränkung führen. Darum gibt es auch nicht die Schwerbehinderung oder den schwerbehinderten Menschen. Die Bandbreite ist sehr vielfältig. Unsere Aufgabe in der Praxis ist es, diese individuellen Situationen positiv zu begleiten, um möglichst das Arbeitsverhältnis unbelastet zu erhalten.
Was glauben Sie, warum manche Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber verschweigen, dass sie einen Schwerbehindertenausweis haben?
Sie befürchten, dass ihnen dadurch Nachteile entstehen und sagen darum lieber nichts. Doch bekommt man zum Beispiel Diabetes oder entwickelt eine Multiple Sklerose, sollte man das offen kommunizieren. Kommt es erst nach Jahren heraus, dass eine Behinderung vorliegt, gibt es einen Vertrauensbruch, der die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber langfristig belasten kann. In sehr vielen der mittelständischen Unternehmen, die bei uns als Arbeitgeberverband in den Regionen Flensburg, Schleswig und Eckernförde Mitglied sind, gibt es aber Verständnis für die Mitarbeitenden. Die Unternehmen sind froh darüber, wenn man sie mit in die Verantwortung nimmt. Vor einer Erkrankung ist ja niemand geschützt, das kann jedem passieren. Weiß der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung, hat das den Vorteil, dass er auf bestimmte Situationen bewusst reagieren kann. Es ist nun einmal eine besondere Situation im Arbeitsverhältnis. Auch für den Arbeitgeber ergibt sich hierdurch eine Herausforderung. Aber die allermeisten Unternehmen sind bereit daran zu arbeiten und zu lernen.
Raten Sie auch in Bewerbungsgesprächen zu Offenheit?
In der Bewerbungsphase ist es schwierig. Natürlich mögen es Arbeitgeber, wenn man alle relevanten Umstände offenlegt. Ich kann aber keine Empfehlung geben. Es kommt auf das Bewerbungsgespräch an. So sollte man situativ entscheiden, ob man dem Gegenüber direkt vertrauen kann oder nicht. Die direkte Frage danach, ob jemand schwerbehindert ist, ist aber grundsätzlich unzulässig. Der Arbeitgeber darf den Bewerber aber fragen, ob er für die vorgesehene Aufgabe geeignet ist. Im Bewerbungsgespräch sind diejenigen, die Gespräche führen, heute wesentlich offener und aufgeklärter in Bezug auf Handicaps. Aber wir sind sicherlich noch nicht am Endpunkt angelangt. Es gibt noch Arbeitgeber, die unsicher bzw. noch nicht zeitgemäß handeln.

Warum sind manche Arbeitgeber zurückhaltend Menschen einzustellen, die als schwerbehindert gelten?
Auf beiden Seiten gibt es Ängste und Vorbehalte, die schlichtweg aus Unwissenheit entstehen. Das beobachten wir immer wieder. Was bedeutet es eigentlich für mich, eine schwerbehinderte Person einzustellen? Muss ich da etwas befürchten? Wenn ich sie kündigen möchte, werde ich sie dann wieder los? Ein Arbeitgeber hat vielleicht gehört, dass es bei der Beschäftigung von Menschen mit einer Behinderung gesetzliche Sondervorgaben für den Betrieb gibt, die so eng und bürokratisch sind, dass man eigentlich nur Fehler machen kann. Ein Arbeitgeber möchte aber nichts falsch machen. Sein fehlendes Wissen verleitet ihn ggf. dazu, möglichst wenige oder gar keine Schwerbehinderten einzustellen. Die Unsicherheit ist leider riesengroß. Man weiß nicht, was richtig oder falsch ist, darum lässt man lieber die Finger davon. Aber das ist ein Prozess, den man frühzeitig und am besten präventiv angehen muss, um sich auf diese Situation vorzubereiten.
Es gibt staatliche Angebote wie eine Arbeitsassistenz und einen Gebärdensprachdolmetscher, die unterstützen sowie auch finanzielle Förderungen, zum Beispiel für das Ausbilden, Einstellen, Umgestalten und Schaffen von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen. Die meisten Unternehmen aus der Region haben sich auf den Weg gemacht mit Menschen mit Beeinträchtigungen offen, tolerant und fürsorglich umzugehen. Nicht zuletzt aufgrund des Arbeitskräftemangels gibt man sich heute endlich mehr Mühe. Außerdem gibt es die so genannte Ausgleichsabgabe, die Arbeitgeber zahlen müssen, wenn sie mehr als 20 Menschen beschäftigen und weniger als fünf Prozent dieser Arbeitsplätze von schwerbehinderten Menschen bekleidet werden. Daher ist auch finanzieller Anreiz gegeben.
Was bedeutet es mit einer Schwerbehinderung im Arbeitsverhältnis umzugehen?
Eine Schwerbehinderung fordert vom Arbeitgeber eine höhere Fürsorge. Das hat die Gesetzgebung in Deutschland so vorgegeben. Das Neunte Buch Sozialgesetzbuch regelt die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Die Schwerbehinderung eines Angestellten hat zum Beispiel für die Gestaltung von Arbeitsabläufen und -zeiten, die Gefährdungsbeurteilung und das Unfallrecht eine besondere Bewandtnis. Der Betriebsarzt und ein gutes betriebliches Gesundheitsmanagement können dem betroffenen Beschäftigen und den Arbeitgeber unterstützen die vertragliche Arbeitsleistung zu erbringen. Außerdem sollte immer frühzeitig das Integrationsamt hinzugezogen werden. Ein Arbeitgeber bietet also jede Hilfe an, die zumutbar ist, aber auch nur bis zu diesem Grad. Die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird nicht zu einem Sozialverhältnis, sondern bleibt stets ein Arbeitsverhältnis mit Leistung und Gegenleistung.
Was ist dran an dem Mythos, dass Unternehmen Schwerbehinderten nicht kündigen können?
Dass Schwerbehinderte nicht mehr gekündigt werden können ist einfach falsch. Wie bei jedem Beschäftigten geht es darum einen Vertrag zu erfüllen. Dieser bindet beide Parteien daran, die versprochene Arbeitsleistung gegen das vereinbarte Entgelt zu erbringen. Kann ich den Vertrag im Rahmen meiner subjektiven Leistungsfähigkeiten nicht mehr erfüllen, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet den Vertrag aufrecht zu erhalten. Er muss dann allerdings ein Vor-Verfahren durchlaufen, weil schwerbehinderte Menschen einem Sonderkündigungsschutz unterliegen. Das Integrationsamt prüft dabei, ob die Kündigung wegen der Schwerbehinderung ausgesprochen werden soll, was selbstverständlich diskriminierend und unzulässig ist.
Mir sind allerdings kaum Fälle bekannt, in der ein Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht, wenn der Leistungswille und das Leistungsangebot des behinderten Menschen, die Arbeit zu verrichten, noch vorhanden sind. Da findet man im Team immer eine gute Lösung. Man muss die Situation gemeinsam und respektvoll angehen. Mein Ziel ist immer, dass beide Seiten zufrieden miteinander sind. Wir müssen generell aufhören uns gegenseitig zu beargwöhnen und zu misstrauen. Die Grundvoraussetzung dafür sind grundlegendes Wissen und Verständnis. Das möchte ich vermitteln. Entscheidend ist das frühzeitige Gespräch auf Augenhöhe, offen, lösungsorientiert und ehrlich. Sonst ist der andere immer in der Bittsteller-Rolle oder fühlt sich hintergangen. Es ist gerade bei persönlich belastenden Situationen viel Einfühlungsvermögen nötig.