Pottwale verirrten sich in die Nordsee um SH. Warum? Diese Frage beschäftigt seitdem Experten und Laien.
13 Wale sind seit Anfang des Jahres an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins gestrandet - sie starben an Herz-Kreislauf-Versagen. Vier von ihnen hatten zudem teils große Mengen Plastikmüll in ihren Mägen. Experten stellten am Mittwoch in Tönning (Kreis Nordfriesland) ihre Analysen vor.
An der Nordseeküste waren im Januar immer wieder tote Wale angespült worden . Insgesamt waren es 30 in der Nordsee - nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch in Niedersachsen, den Niederlanden, in Großbritannien. |
---|
In den vergangenen Wochen hatten Wissenschaftler einer Außenstelle der Tierärztlichen Hochschule Hannover in Büsum, des Kieler Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung und der Nationalparkverwaltung die Kadaver zerlegt und untersucht. An der Vorstellung ihrer Befunde nimmt auch Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) teil.
Die Pottwale waren im Januar und Februar an Schleswig-Holsteins Nordseeküste gestrandet. Professor Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der Stiftung Tierärztlichen Hochschule Hannover (ITAW), hatte die Pottwale anschließend mit ihrem Team eingehend untersucht. Alle Tiere waren junge, noch nicht geschlechtsreife Bullen, 10 bis 15 Jahre alt und 12 bis 18 Tonnen schwer. Sie waren allesamt in einem guten Gesundheits- und Ernährungszustand. Das zur Orientierung wichtige Gehör der Tiere zeigte keine Anzeichen für ein schweres akustisches Trauma und der Befall in den verschiedenen Organen mit Parasiten war altersentsprechend normal.
Alle Tiere waren ins Flachwasser des Wattenmeeres geraten. Dort bei ablaufendem Wasser auf dem Grund liegend, drückte das Gewicht ihres Körpers ihre Blutgefäße, die Lunge und andere Organe zusammen, sodass die Tiere an akutem Herz-Kreislauf-Versagen starben.
Zu den in den Mägen gefundenen Müllteilen gehören etwa Reste eines 13 Meter langen und 1,2 Meter breiten Schutznetzes, das in der Krabbenfischerei eingesetzt wird sowie eine 70 Zentimeter lange Plastikabdeckung aus dem Motorraum eines Autos und die scharfkantigen Reste eines Kunststoffeimers. „Diese Funde zeigen uns die Auswirkungen unserer Kunststoffgesellschaft: Tiere nehmen unbeabsichtigt Plastik und anderen Kunststoffmüll auf, leiden darunter, im schlimmsten Fall verhungern einige bei vollen Mägen. Das ist eine dringende Mahnung, verstärkt gegen Müll im Meer vorzugehen. Schleswig-Holstein wird seine Anstrengungen hierzu intensiv fortsetzen“, sagte Umweltminister Robert Habeck.
Der Meeresbiologe Uwe Piatkowski vom Geomar Helmholtz-Zentrum glaubt, dass die heftigen Stürme im Nordostatlantik im Januar die Tiere in die Nordsee geleitet haben. Stürme hätten Wassermassen und damit wohl auch Kalmare, die Beute der Wale, nach Süden getrieben. Mit ihnen seien die Pottwale immer weiter in die flachen Gewässern der Nordsee vorgedrungen und dort schließlich gestrandet.
Siebert und Piatkowski vermuten, dass die verendeten Wale in der Norwegischen See letztmals gefressen hatten. Die erste Gruppe mit drei Tieren hatte sich vermutlich nur kurz in der Nordsee aufgehalten, die zweite mit zehn Tieren wohl etwas länger. In einigen ihrer Mägen wurden Knochen und andere Überreste von Nordseefischen wie Seeteufel, Kabeljau, Wittling und Seehase gefunden.
Die Ursachen dieses gehäuften Vorkommens sind nach Aussagen der beiden Wissenschaftler unbekannt. Ungewöhnlich hohe Temperaturen und besonders starke Stürme, die in den vergangenen Wochen im nördlichen Nordost-Atlantik registriert wurden, könnten Wassermassen aus der Norwegischen See südwärts in die Nordsee gedrückt haben - und die Tintenfische mit ihnen. Möglicherweise sind die Pottwale ihrer Hauptnahrung gefolgt und gelangten so, ebenso wie andere Walarten, in die Nordsee. Eine plausible Erklärung, die allerdings nicht bewiesen ist, da derartige ökologische Zusammenhänge nur mit großem Aufwand nachzuweisen sind.
Siebert und Piatkowski machen allerdings deutlich, dass das Vorkommen von Pottwalen in der Nordsee keiner außergewöhnlichen Erklärungen bedarf. Alle wandernden Tierarten kommen gelegentlich außerhalb ihres eigentlichen Verbreitungsgebietes vor. So erschließen sie sich immer wieder neue Lebensräume und können sich an neue Bedingungen anpassen. Pottwalstrandungen seien zudem kein neues Phänomen. Seit dem 16. Jahrhundert sind mehr als 200 Funde an der Nordseeküste dokumentiert, darunter 21 Tiere, die 1723 in der Elbmündung bei Neuwerk strandeten.
Von Mittwoch an informiert im Multimar Wattforum in Tönning eine Ausstellung über die Strandung, Bergung und Untersuchung der Tiere.