Ein Gutachten in Niedersachsen stellt die Wirtschaftlichkeit der Küstenautobahn infrage. Zudem könnten die Gesamtkosten um rund eine Milliarde Euro höher ausfallen.
Der Weiterbau der A20 von Schleswig-Holstein bis ins westliche Niedersachsen kostet womöglich mehr, als er volkswirtschaftlich einbringt. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten der Beratungsfirma Regioconsult, das die Grünen im Hannoveraner Landtag in Auftrag gegeben haben. Demnach hat Verkehrsminister Alexander Dobrindt die ökonomischen Vorteile der 160 Kilometer langen Strecke zwischen Bad Bramstedt und Westerstede im Bundesverkehrswegeplan übertrieben dargestellt – und die Kosten untertrieben. „Hier wurde getrickst, um noch irgendwie eine Wirtschaftlichkeit beim Neubau nachzuweisen“, kritisiert Niedersachsens Grünen-Fraktionschefin Anja Piel.
Der Ausbau der A20 ist in Schleswig-Holstein sehr umstritten. Gegner hatten mit Arten- und Tierschutzbedenken für einige Baustopps gesorgt. Am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte es zudem Klagen gegen den Bau der Elbquerung bei Glückststadt gegeben. Das Gericht erkannte jedoch keinen Grund an, der den Bau unmöglich machen würde . |
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Laut Gutachten hat Dobrindt unter anderem den finanziellen Vorteil der Zeitersparnis durch Fahrten über die A20 um rund 25 Prozent zu hoch bewertet. Zudem bezweifeln die Experten von Regioconsult, dass die Küstenautobahn zusätzliche Fahrten mit einer Gesamtlänge von 144 Millionen Kilometern im Jahr ermöglicht. „Wie es in dieser dünn besiedelten Region zu einer so hohen Erhöhung der Fahrtenhäufigkeiten kommen soll, erschließt sich nicht“, moniert die Studie. Vielmehr weisen die Autoren darauf hin, dass auf einzelnen Abschnitten selbst nach Dobrindts Prognosen sogar weniger Autos unterwegs sein werden als für den Bau einer neuen Autobahn nötig. So rechnet der Minister etwa zwischen der A7 und der A23 in Schleswig-Holstein mit nur 15.000 bis 17.000 Fahrzeugen pro Tag. Ein Autobahnbau wäre aber wäre laut Dobrindts eigener Richtlinie erst ab 18.000 gerechtfertigt.
Gesamtkosten sollen fast um eine Milliarde Euro höher sein
Gleichzeitig hat Dobrindt dem Gutachten zufolge die Kosten kleingerechnet. So habe er Planungen und Reparaturen nicht berücksichtigt und bei den Baukosten günstigere Preise von 2012 zugrunde gelegt statt von 2014, bemängeln die Experten. Deshalb seien die Gesamtkosten viel zu niedrig angesetzt: Statt 2,74 Milliarden Euro würden sie tatsächlich 3,64 Milliarden betragen. Dadurch und durch den verringerten Nutzen des Projekts verschlechtere sich dessen Bilanz drastisch: Die ökonomischen Vorteile seien nun nicht mehr wie im Verkehrswegeplan ausgewiesen fast doppelt so hoch wie die Kosten, sondern nur noch 1,2-mal. Wegen zusätzlicher Unwägbarkeiten könne zudem „nicht ausgeschlossen werden“, dass der Nutzen am Ende sogar geringer ist als die Kosten, heißt es in der Studie. Dann wäre die A20 kaum zu rechtfertigen.
Schleswig-Holsteins Grünen-Verkehrsexperte Andreas Tietze fordert daher den Haushaltsausschuss des Bundestags auf, die Küstenautobahn „sehr kritisch zu prüfen“. Dies gelte umso mehr, als noch mehr unangenehme Überraschungen zu befürchten seien – vor allem bei der geplanten Elbquerung zwischen Glückstadt und Drochtersen: „Beim Tunnel wird es weitere Kostensteigerungen geben“, warnt Tietze. Dagegen sieht der Kieler Verkehrsminister Reinhard Meyer keinen Grund zur Sorge. Er gehe davon aus, dass Dobrindts Daten korrekt seien, sagt Meyer. Die A20 werde „große Wirkung entfalten“, da sie „Wirtschaftsräume von der polnischen bis zur holländischen Grenze verbindet“.
Kommentar von Henning Baethge: Zweifel sind erlaubt
Die Kritik ist deutlich: Ein neues Gutachten zur Küstenautobahn A20 wirft Verkehrsminister Alexander Dobrindt vor, das umstrittene Milliardenprojekt im Bundesverkehrswegeplan schöngerechnet zu haben. Dobrindt habe die Kosten zu niedrig angesetzt und die ökonomischen Vorteile zu hoch. In Wirklichkeit rechne sich die Autobahn volkswirtschaftlich nicht.
Nun ist so ein verheerendes Ergebnis erst mal keine Überraschung bei einer Studie, die von den erklärten A-20-Gegnern der niedersächsischen Grünen bestellt wurde. Auch haben sich die beauftragten Gutachter der Firma Regioconsult bei der A20 bisher nicht mit Ruhm bekleckert: Im Prozess um den Weiterbau bei Bad Segeberg folgte das Bundesverwaltungsgericht nicht deren Argumentation für eine Trasse mit einem Tunnel durch die Stadt.
Dennoch sollten Dobrindt und seine Kollegen in Kiel und Hannover das Gutachten nicht einfach ignorieren. Manch Einwand ist ernst zu nehmen. So sind die Baukosten für die A20 samt geplantem Elbtunnel heute natürlich höher als 2012. Dass Dobrindt mit alten Preisen rechnet, macht seine Kalkulation angreifbar. Auch sind die Zweifel an den Verkehrsprognosen erlaubt – nicht zuletzt weil der Bund schon in der Machbarkeitsstudie für die Elbquerung die Verkehrszahlen geschönt hat.
Stoppen wird das neue Gutachten den Autobahnbau trotzdem nicht – dazu überzeugt es nicht genug. Und dazu ist der Wille zur A20 bei den beteiligten Landesregierungen trotz bremsender grüner Koalitionspartner zu stark. Auch Dobrindt will die Autobahn, da er mit dem Bau der Elbquerung ein weiteres seiner geliebten privat finanzierten Projekte verwirklichen möchte: Ein Investor soll den Tunnel bauen, bezahlen und betreiben und im Gegenzug eine Maut kassieren dürfen.
Die Suche nach diesem Partner wird dann auch die wahre Feuerprobe für die Glaubwürdigkeit von Dobrindts Zahlen. Denn ein Investor wird sich nur finden, wenn er Nutzen und Kosten der A20 in einem lohnenden Verhältnis zueinander sieht.