Bei vielen Frauen frisst der Krankenkassenbeitrag die Rente auf. Im Ministerium will man das jetzt ändern.
„Ich habe einfach den falschen Mann geheiratet“ stellt Gabriele R. aus Nordfriesland fest. Die Einsicht kommt spät – zu spät. Weil ihr Mann Beamter war und sie während der Kindererziehungszeit bei ihm in der Beihilfe mitversichert war, darf sie jetzt im Ruhestand nicht in die günstige Krankenkasse der Rentner (KvdR) wechseln. Stattdessen muss sie sich selbst für viel Geld gegen Krankheit absichern.
Nachdem unsere Zeitung kürzlich berichtete, dass man in der zweiten Hälfte des Arbeitslebens 9/10 der Zeit in der Gesetzlichen Krankenkasse (GKV) versichert gewesen sein muss, um auch im Alter günstig abgesichert zu sein, meldeten sich viele Betroffene, deren Rente durch die Beiträge für die freiwillige Versicherung bei Barmer, AOK & Co. oder für die Private Krankenkasse (PKV) zum größten Teil aufgefressen wird. Der Kieler CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Stritzl will sich jetzt für Betroffene stark machen. Er sei zwar grundsätzlich gegen Ausnahmen vom Solidarprinzip, aber „Kindererziehungszeiten sind – ähnlich wie bei der Rente – von solch gesellschaftlicher Bedeutung, dass sie dem Solidarprinzip nicht widersprechen“, teilte er mit.
Sollte Stritzl Erfolg haben, wäre Gabriele R. aus dem Schneider. Sie war 15 Jahre alt, als sie in die Friseurlehre ging und war dann 16 Jahre lang ununterbrochen gesetzlich bei der AOK versichert. Anschließend blieb sie zwölf Jahre wegen ihrer drei Kinder zu Hause. Mit 43 ging sie zurück in den Beruf und schnitt bis zum Renteneintritt mit 63 Jahren wieder sozialversicherungspflichtig Haare in einem Salon. 35 Jahre hat sie Kassenbeiträge gezahlt. Trotzdem muss sie sich jetzt als freiwilliges AOK-Mitglied versichern und von ihrer Rente – 720 Euro - mehr als 230 Euro monatlich an die Kasse überweisen.
Stritzls Vorschlag würde sie retten – aber viele andere nicht, wie die Anrufe in unserer Redaktion zeigen. Etwa „Beamtengattinen“, die Angehörige gepflegt haben oder Frauen, die von Beamten geschieden wurden. Betroffen sind aber auch Männer und Frauen, die sich selbstständig gemacht hatten. Ein Beispiel aus dem Norden: Christiane C. verliert 2004 mit 49 Jahren ihren Job. „Das Arbeitsamt machte mir keine Hoffnung, ich sei zu alt. Aber in die soziale Hängematte wollte ich nicht“, berichtet die Alleinstehende. Sie machte sich selbstständig, konnte die hohen Beiträge für die freiwillige Weiterversicherung in der DAK aber nicht zahlen. Drei Jahre war sie ohne Versicherungsschutz. „Dann habe ich zum Glück doch noch eine Festeinstellung in einem Callcenter gefunden und bin jetzt wieder in der gesetzlichen Kasse.“ Im Nachhinein weiß sie: „Es war ein Fehler, dass ich mich nicht auf Hartz IV ausgeruht habe. Dann hätte das Arbeitsamt weiter meine Beiträge an die DAK gezahlt“. Jetzt hat sie ein Problem: Wenn sie in fünf Jahren in Rente geht, muss sie ihre Gesundheitskarte wieder abgeben, weil sie über die 9/10-Regelung stolpert. Verstehen kann sie das nicht.
Auch im Kieler Sozialministerium gibt es Kopfschütteln: „Die Regelung führt in Einzelfällen zu einem äußerst unbefriedigenden Ergebnis und verdeutlicht erneut den grundsätzlichen Reformbedarf bei der Krankenversicherung: „Das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenkasse ist nicht konsequent“, meint Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) und spricht sich für die Einführung einer einheitlichen Bürgerversicherung aus.
Wolfgang Schneider, Landesvorsitzender des Sozialverbandes SoVD in Kiel, erinnert daran, dass die 9/10-Regelung verhindern sollte, dass privat Versicherte bei zunehmenden Kosten im Alter irgendwann in die günstigere gesetzliche Kasse wechseln und sich „die Rosinen aus beiden Systemen herauspicken“. Allerding s wirke sich die Regelung gerade für Frauen dramatisch aus und offenbare, „welche Flickschusterei in unserem Gesundheitssystem – vor allem im Spannungsfeld zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung – seit Jahren betrieben wird“. Auch er spricht sich für eine solidarische Bürgerversicherung aus. Nur so ist es möglich, dass die unterschiedlichen Risiken angemessen ausgeglichen werden.
Bis es soweit ist, gelten folgende Ratschläge: Ehefrauen von Beamten , die wegen der Kinder zu Hause bleiben, sollten möglichst nicht die Kombination Beihilfe/PKV wählen, sondern als freiwilliges Mitglied in der GKV bleiben – auch wenn das teurer ist. Im Scheidungsfall sollten Betroffene sich vorher über die Modalitäten ihrer künftigen Krankenversicherung schlau und die Kosten bei der Trennungsvereinbarung geltend machen. Und: Wer sich jenseits der 40 selbstständig macht, sollte sich in Sachen Krankenkasse vorher von Experten beraten lassen.
9/10 Regelung im Internet etwa unter www.vdk.de/ov-pocking/ID91823