Christian Meyer-Heidemann, Landesbeauftragter für politische Bildung, fordert mehr Ehrlichkeit in der Politik.
Herr Meyer-Heidemann, vor 60 Jahren wurde der erste Landesbeauftragte für politische Bildung ernannt. Warum brauchen wir einen solchen Beauftragten heute noch?
Politische Bildung ist keine Feuerwehr, die eingreift, wenn etwas schief läuft. Nehmen wir den Rechtsextremismus. Gibt es hier Vorfälle, dann ist der Ruf nach politischer Bildung immer besonders laut. Politische Bildung muss aber in jeder Demokratie eine Daueraufgabe sein. Junge Menschen wachsen in unsere demokratische Ordnung hinein und wir tragen dazu bei, dass sie diese Ordnung verstehen und wertschätzen.
Dringt politische Bildung in dem Sinn, den Sie darunter verstehen, bei jungen Menschen noch durch?
Jein. Es gibt viele gute Beispiele. Ich denke da an die Kinder- und Jugendbeiräte auf kommunaler Ebene. Hier gibt es junge Menschen, die sich engagieren wollen. Darüber hinaus zeigt sich politisches Interesse heute aber eher an konkreten Themen als an einer Parteimitgliedschaft. Daraus zu schließen, politisches Interesse sei gesunken, wäre aber zu kurz gesprungen. Das belegen auch alle Jugendstudien. Trotzdem gibt es Zielgruppen, die wir nur schwer erreichen.
Ist unsere Demokratie gefestigt oder erleben wir etwa mit dem Erstarken der neuen Rechten nicht gerade ein Stück Deformation demokratischer Kultur?
Es wäre ein Irrglaube, zu unterstellen, Demokratie sei jemals gefestigt. Demokratie ist der Anspruch, dass wir alle uns selbst regieren. Dieses gemeinsame Projekt ist immer auch von der Gefahr begleitet, dass etwas schief gehen kann. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in Deutschland ist leider festzustellen, dass diese Gefahr gewachsen ist.
An welchen Phänomenen machen Sie dieses konkret fest?
Am rechten Rand des Parteienspektrums sind völkische Ideologie und Demokratieverachtung wieder verbreitet. Wir erleben eine verbale Radikalisierung und Verrohung des politischen Diskurses. Denken wir an die hässlichen Vorkommnisse am Tag der Deutschen Einheit in Dresden, wo Spitzen unseres Staates als „Volksverräter“ verunglimpft und zu Hassobjekten geworden sind.
Nun sitzt die AfD in mehreren Landtagen. Ist das Ausdruck demokratischer Normalität oder Zeichen der von Ihnen beschriebenen Radikalisierung?
Mir fällt es schwer, hier von einem Normalzustand zu sprechen. Wir haben immer wieder erlebt, dass Parteien kommen und auch wieder gehen. Die Entstehung der Piraten zum Beispiel. Das ist eine normale, gewollte Bewegung in unserem parlamentarischen System und das hält es auch aus.
Aber die so genannte Alternative für Deutschland …
… ist eine Partei, die demokratische Prinzipien massiv ablehnt. Wenn bei Demonstrationen von AfD oder Pegida Schilder hochgehalten werden mit der Aufschrift „Wir sind das Volk“, dann meinen die: „Nur wir sind das Volk“ – alle anderen bezeichnen sie als ungleichwertige Minderheiten, Lügenpresse oder korrupte Kartellparteien. Diese tiefe Verachtung für unser System, für Menschenrechte, Religionsfreiheit und andere Freiheitsrechte muss uns alarmieren. Und da müssen alle demokratischen Kräfte gegenhalten.
Dennoch: Da muss doch etwas schief gelaufen sein, wenn eine solche Partei mit Wutparolen gegen „die da oben“ offenkundig punkten kann?
Es sind zum Teil reale Probleme, die die AfD anspricht. Und da müssen wir uns schon fragen, ob diese Probleme in der Vergangenheit hinreichend politisch bearbeitet wurden. Das sollten die demokratischen Parteien auch ernst nehmen. Die AfD aber will diese Probleme gar nicht lösen, sondern will sie nur ausschlachten und gegen die etablierten Parteien instrumentalisieren.
An welche Probleme denken Sie da zuallererst?
Es gibt Menschen, die sich Gedanken machen in der Flüchtlingsfrage, über bezahlbares Wohnen, über die Zukunft Europas oder die Stabilität des Finanzsystems. Das ist doch völlig legitim. Verantwortungsvolle Politik stellt sich die Frage, wie eine Lösung gestaltet werden kann. Verantwortungslose Politik schürt Ängste, erweckt den Eindruck, es gebe einfache Lösungen für komplexe Probleme und nutzt dazu auch immer wieder gezielt Falschmeldungen.
Wir haben über Demokratieverachtung gesprochen. Wie geht ein politischer Bildner wie Sie damit um?
Eine Werbekampagne, die alles in rosaroten Farben zeichnet, wäre sicherlich zu billig und würde die Bürgerinnen und Bürger für dumm verkaufen. Demokratie ist nicht perfekt, aber ich kenne keine bessere Staatsform. Wichtig ist, Verächtern unseres demokratischen Rechtsstaates zu erklären, dass er auch ihnen Grundfreiheiten wie die freie Meinungsäußerung gewährt, die sie in anderen Ländern gar nicht hätten. Solche Widersprüche aufzuzeigen, Irritationen zu schaffen, ist ein wichtiger Teil des politischen Bildungsprozesses.
Nun kann eine Landeszentrale mit fünf Mitarbeitern einen solchen Job nicht allein machen. Wer oder was fehlt oder ist da gefordert?
Es mag pathetisch klingen, aber politische Bildung ist Aufgabe der gesamten Republik. Das Lateinische res publica heißt gemeinsame Angelegenheiten. Die betreffen uns alle. Nicht nur Profis in Politik, Medien oder Lehrkräfte, sondern alle, denen an unserer Ordnung etwas liegt.
Wissen beruht auf Information. Im US-Wahlkampf war zu beobachten, dass Desinformation immer mehr verfängt…
Leider ist das und der unkritische Umgang mit Quellen auch hierzulande vermehrt festzustellen. Ich höre immer wieder junge Leute, die ihre Information „von Facebook“ haben – und nicht aus Beiträgen von Spiegel-Online, die auf Facebook gepostet wurden. Hier sind mit den sozialen Medien Echoräume entstanden, wo diejenigen, die ohnehin einer Meinung sind, sich wechselseitig bestärken. Und wenn ich es oft genug gehört habe, dann kann es noch so falsch sein, dann fangen die Leute an, es zu glauben.
Lässt sich ein solcher Trend stoppen, und wenn ja, wie?
Ich hoffe das natürlich ganz stark. Zur Trendumkehr gehört erst einmal auch eine gewisse Selbstkritik. Was ist die Ursache der Legitimitätskrise von Politik und Medien? Was ist da in der Vergangenheit vielleicht falsch gelaufen? Lässt sich Glaubwürdigkeit nicht auch mit permanentem Faktencheck zurückgewinnen, der Lügen und Desinformation auch als solche immer wieder entlarvt?
Der Empfehlung folgen wir gern. Ihr Rat an die Politik?
Ich glaube, was viele Menschen nervt, sind diese eingespielten Rituale. Dass die Opposition all das kritisiert, was die Regierung tut. Und dass die Regierung alles schönredet, was sie macht.
Etwas mehr Authentizität und mehr Ehrlichkeit also?
Alternativlos ist nichts und niemand. Hätte es nicht auch Charme, wenn Politiker zuweilen Selbstzweifel zuließen? Das wäre doch völlig normal. Oder: Warum ist am Ende eines Gesetzgebungsverfahrens aus einer Regierungspartei nicht öfter zu hören: „Wir haben unsere Pläne in der Partei, mit unserem Koalitionspartner erörtert, ja sogar Ideen aus der Opposition berücksichtigt und uns für diese oder jene Alternative entschieden.“ Und auch wogegen man sich entschieden hat, sollte man klar benennen, damit die Unterschiede zwischen den Parteien und die Politik insgesamt nachvollziehbarer werden. Wir brauchen offenere politische Debatten!
Zur Person: Dr. Christian Meyer-Heidemann (36) ist seit dem 1. Januar 2016 der erste gewählte Landesbeauftragte für politische Bildung in Schleswig-Holstein. Nach seinem Studium der Fächer Wirtschaft/Politik und Mathematik an der Christian-Albrechts-Universität war er an den Universitäten Kiel und Vechta als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Neben seiner universitären Tätigkeit war er in den Jahren 2011 bis 2013 als Leiter des Projekts „jung & wählerisch“ für die damalige Landeszentrale für politische Bildung tätig. |
---|