75. Geburtstag : Acht Gründe, warum Joachim Gauck anders ist
Zum Geburtstag am Sonnabend: shz.de erklärt, warum die Deutschen mit Gauck einen besonderen Bundespräsidenten haben.
1. Gauck ist politisch unkorrekt.

Als Thilo Sarrazin 2010 die Nation in eine Debatte um Einwanderung stürzt, gilt Sarrazin vielen Politikern als politisch zu unkorrekt und deshalb als nicht satisfaktionsfähig. Nicht so Gauck. In einem Interview mit der Süddeutschen kritisiert er, noch nicht im Amt des Bundespräsidenten, zwar einzelne Thesen des früheren Bundesbank-Mitglieds, springt ihm aber grundsätzlich bei: „Intellektuellen fällt es schwer zu akzeptieren, dass mit dem Element des Tabubruchs Politik gemacht wird. Mein Eindruck ist, dass der Herr Sarrazin nicht ein Problem erfunden hat.“
2. Gauck mischt sich ein.

Verwunderung bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2014. Was hatte der Bundespräsident gesagt? „Ich meine: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen.“ Mit „einbringen“ meinte er Militär, nicht Diplomatie. Ein Tabubruch. Ein Bundespräsident als Anti-Pazifist. Und das bei dieser deutschen Geschichte!
Dass Bundespräsidenten sich überhaupt explizit zur Außenpolitik äußern, ist schon ungewöhnlich. Dass ein Bundespräsident die Initialzündung für eine außenpolitische Debatte gibt, die zu einem Paradigmenwechsel führen könnte, hat es noch nicht gegeben.
Es fällt ihm schwer, zurückhaltend zu sein: „Es ist einfacher, als Bürger ohne Amt seine Meinung zu vertreten. Da darf man auch mal übertreiben, ironisch sein und sehr zugespitzt formulieren. All das passt nicht so recht zum Amt des Präsidenten. Kritik etwa habe ich maßvoll zu formulieren“, bedauerte er jüngst in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.
3. Gauck bürstet gegen den Strich.

Als den Japanern 2011 nach dem Tsunami ihr Atomkraftwerk in Fukushima um die Ohren flog, drehte in Deutschland die öffentliche Stimmung endgültig gegen Atomkraft. Kanzlerin Angela Merkel nahm dies sofort auf und leitete das ein, was wir heute als „Energiewende“ kennen. Gauck sah das anders: Solche wichtigen Entscheidungen dürfe man nicht von der Gefühlslage der Nation abhängig machen. Dem gegenüber stehen aber Äußerungen Gaucks zugunsten eines wirksamen Klimaschutzes.
4. Gauck ist verheiratet, aber nicht mit der First Lady.

Zu einem richtigen Präsidenten gehört eine richtige First Lady, also eine Frau an seiner Seite, mit der der Bundespräsident verheiratet ist. Bundespräsident Gauck ist verheiratet - seit 1959 mit Gerhild Gauck. Die Frau an seiner Seite ist aber die Journalistin Daniela Schadt. Rufe, er müsse als Bundespräsident „seine persönlichen Verhältnisse ordnen“, also sich von der einen Frau scheiden lassen und dann die andere heiraten, hat er stets ignoriert. Inzwischen hat Gauck die Debatte erfolgreich ausgesessen.
5. Gauck gehört keiner Partei an.

Zehn Bundespräsidenten gab es vor Gauck, alle waren Mitglied einer Partei. Sechs der CDU, zwei der SPD und ebenfalls zwei der FDP. Zwar hat der Bundespräsident sein Amt überparteilich auszuführen. Eine Parteizugehörigkeit galt aber bis dato als Voraussetzung.
Gauck selbst war nicht immer parteilos. Zur Wendezeit war er im Neuen Forum, das dann Teil von Bündnis 90 wurde und heute Teil von Bündnis 90/Die Grünen ist. Zu dieser Partei hat Gauck ein freundlich-distanziertes Verhältnis wie sonst nahezu zu allen anderen auch - mit Ausnahme der Linkspartei. Das Verhältnis zwischen dem streng antikommunistisch erzogenen Gauck und der SED-Nachfolgepartei, das wird nichts mehr.
6. Gauck nimmt kein Blatt vor den Mund.

Wenn Gauck sich einer Meinung ganz sicher ist, spricht er sie auch deutlich aus, unabhängig vom üblichen Klischee des zurückhaltenden Bundespräsidenten. Bei einer Diskussion mit Berliner Schülern über Proteste gegen ein Asylbewerberheim nimmt er klar Stellung gegen die Strippenzieher aus den Reihen der NPD: „Wir brauchen Bürger, die auf die Straßen gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen.“ Die NPD steigert sich in die Rolle des verunglimpften Opfers hinein und klagt vor dem Bundesverfassungsgerichts. Die Rechtsaußenpartei bekommt es höchstrichterlich: Der Bundespräsident darf sie beschimpfen.
7. Gauck ist kein Grüßonkel.

„Hoch auf dem gelben Wagen.“ So sang einst Bundespräsident Walter Scheel und hatte mit der Platte einen respektablen Verkaufserfolg. Auch Bundespräsident Karl Carstens begriff das Amt eher als Folkloreveranstaltung und ging wandern. Bei Gauck wäre das undenkbar. Er lässt sich nicht als bloßer Repräsentant vereinnahmen und ist auch nicht volksnah im engeren Sinne, eher intellektuell und etwas fern. Nach den Vorgängern Horst Köhler und Christian Wullf, deren Versuche zur Volksnähe im Unbeholfenen endeten, ist das wohl das richtige Amtsverständnis zur richtigen Zeit. Als zweiter „Papa Heuss“ würde er ohnehin nicht taugen.
8. Gauck steht im Widerstreit mit der Kanzlerin.

Zwei Ostdeutsche mit engen Verbindungen zur Kirche und einer vergleichbaren Biografie. Es passt dennoch nicht zwischen Kanzlerin und Präsident. 2010 hatte Merkel Gauck durchaus auf dem Zettel für die Wahl des Bundespräsidenten. Sie entschied sich für Wulff - aus Machtkalkül. Die Quittung: Wulff musste wegen Gauck drei Wahlgänge erleiden, bis er Präsident werden durfte. 2012 lässt sich Merkel von einer schwächelnden FDP zur Gauck-Zustimmung drängen, weil sie sonst den Bruch der Koalition riskiert hätte.
Gauck und Merkel vermeiden seit seiner Wahl 2012 öffentliche Konfrontationen, machen aber auch keinen Hehl daraus, wenn sie Dinge anders sehen. So boykottiert Gauck 2013 die Putin-Show bei den Olympischen Spielen in Sotschi. Das Kanzleramt macht deutlich, dass die Regierungschefin das nicht gut findet. Sie bekämpfen sich nicht, die beiden wichtigsten Repräsentanten Deutschlands, aber sie nehmen auch keine große Rücksicht aufeinander.
Diskutieren Sie mit.
Leserkommentare anzeigen